Sie war häufig zu hören an diesem politischen Fernsehabend, die Forderung, dass der Täter von Solingen die ganze oder wahlweise die volle Härte des Rechtsstaates (Variante: des Gesetzes) zu spüren bekommen müsse. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verwendete die Formulierung im Sommerinterview des ZDF, Olaf Scholz tat es in einem Einspieler zur Talkshow von Caren Miosga, ihm folgte seine Parteichefin Saskia Esken im Gespräch mit der Moderatorin.
Was so kernig klingt, ist eine Beschwichtigung, denn die Formulierung suggeriert die Handlungsfähigkeit der Staatsmacht im Rahmen der bestehenden Rechtsverhältnisse. Und es ist eine Beschwörung der Richterschaft, die im Einzelfall unabhängig über das Strafmaß zu befinden hat. Das Problem ist nur, dass immer mehr Bürger den Eindruck haben, dass es sich um eine hohle Phrase handelt.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Drohung mit Konsequenzen für die islamistischen Täter und erst recht ihre Anstachler irrelevant ist, sowohl im Sinne der Spezial- wie auch der Generalprävention. Eher ist es sogar umgekehrt: Je mehr Härte der Staat zeigt, umso stärker geht die Saat der Angst auf.
„Das Thema Migration wächst uns über den Kopf“
Wer die Formulierung von der Härte des Gesetzes an diesem Abend nicht verwendete, war Markus Söder im Sommerinterview der ARD. Auch er forderte harte Konsequenzen, aber von der Bundesregierung: schnellere Asylverfahren, Abschiebungen auch nach Syrien und Afghanistan, Kontrollen an allen Grenzen, härtere Strafen. Man könne sich nicht unbegrenzt die Probleme der Welt aufbürden und damit Unfrieden ins eigene Land holen. Und Söder weitete die Diagnose ins allgemein Gesellschaftliche: „Das Thema Migration wächst uns über den Kopf“, sagte er und fügte hinzu: „Wir schaffen die Integration nicht mehr.“
Der CSU-Chef wagte die Gratwanderung, einerseits das Unbehagen jener Deutschen zu artikulieren, die sich in vielen Stadtteilen nicht mehr zuhause fühlten, und sich andererseits freundlich über die Migranten zu äußern, die „toll arbeiten“ und zu denen er gern bei Einbürgerungsveranstaltungen spreche.
Steinmeier weicht aus
Auch Diana Zimmermann vom ZDF hat wahrgenommen, dass die Tat von Solingen für eine allgemeine Migrationsdebatte sorgt, und daher fragte sie den Bundespräsidenten, wenn auch zaghaft, danach: Was er denn jenen „entgegenzusetzen“ habe, denen die Antworten der etablierten Parteien nicht ausreichten. Steinmeier wich aus und erzählte etwas davon, wie wichtig es sei, sich auf die Menschen zuzubewegen – so, wie er das mit dem Gesprächsformat „Ortszeit Deutschland“ tue.
Wohlwollend könnte man sagen, dass Zimmermann nachhakte, als sie die Bemerkung anschloss, dass das Thema Migration in Ost und West unterschiedlich wahrgenommen werde. Doch Steinmeier wiegelte abermals ab, es gebe nicht das eine Thema, das die Menschen bewege. Zimmermann gab sich damit zufrieden, und die Zuschauer wussten nun immerhin, dass der an diesem Tag in seiner Wortfindung auffällig unkonzentrierte Bundespräsident ebenso wie der wie immer kurz angebundene Bundeskanzler kein Interesse daran hat, in dieser schwierigen Debatte für Orientierungshilfe zu sorgen. Jedenfalls nicht für eine, die über Allgemeinplätze hinausgeht wie jene, dass „wir eine offene Gesellschaft bleiben wollen“ und dass „wir völligen Schutz nicht garantieren können“. Hoffentlich merkt der Bundespräsident, ab welchem Punkt solche Sätze zynisch klingen.
Das gilt auch für Saskia Esken, die sich fast wortgleich bei Caren Miosga äußerte. Sie wies darauf hin, dass die Bundesregierung schon vieles getan habe, um die Sicherheit zu erhöhen. Islamistische Organisationen seien verboten worden, der Abschiebegewahrsam werde ausgebaut, Rückführabkommen mit Herkunftsländern seien geschlossen und Grenzkontrollen eingeführt worden. Esken verteidigte das Trennungsgebot zwischen Verfassungsschutz und Polizei aufgrund der Erfahrungen von zwei Diktaturen in Deutschland.
Dass Miosga in ihrer Sendung zu Solingen von der sonst üblichen Beschränkung auf einen kleinen Kreis von zwei bis drei Gesprächspartnern abwich und stattdessen fünf Gäste einlud, tat der Sendung nur in Maßen gut. Jochen Kopelke, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, etwa nutzte seine knappe Redezeit zur Auflistung so vieler Punkte, dass ihm mitunter nur schwer zu folgen war. Es wurde aus seinen Äußerungen aber deutlich, dass viele Polizisten frustriert sind, weil ihnen rechtliche, technische und personelle Möglichkeiten fehlen, das Gebotene zu tun. Kondensiert in einem Satz: „Wir sagen zu oft, wir könnten, aber wir dürfen nicht.“
Auf befreundete Dienste angewiesen
In eine ähnliche Richtung zielten auch die Einlassungen von NRW-Innenminister Herbert Reul, der beklagte, dass sich Deutschland schwer tue mit der Informationsbeschaffung durch Abhören der Kommunikationskanäle von potenziellen Straftätern. Zu oft sei man darauf angewiesen, von befreundeten Diensten informiert zu werden. Das müsse sich ändern, die Polizei müsse insgesamt besser ausgestattet werden.
Miosga zitierte aus einem Schreiben des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz, in dem er Kanzler Scholz dazu auffordert, gemeinsam mit der Union Entscheidungen zu treffen, die weitere Terroranschläge verhindern. Die Moderatorin ließ klar erkennen, dass sie die Merz’schen Forderungen nach einem Aufnahmestopp für weitere Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan für unrealistisch hält. Und sie versuchte, CDU-Mann Reul dazu zu bewegen, diese Einschätzung seines Parteivorsitzenden als rechtlich unhaltbar zu brandmarken.
Reul stellte sich dümmer, als er ist, und sagte, dass er nicht beurteilen könne, ob das juristisch gangbar sei. Gleichzeitig bewies er seine politische Klugheit, indem er das Schreiben von Merz als Hinweis verstanden wissen wollte, dass etwas passieren müsse.
Esken dagegen sagte klar, dass ein Aufnahmestopp nicht denkbar sei; die schlechten Umfragewerte der SPD vor den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen änderten daran nichts. Nun, man wird sehen, welche Weiterungen die Ergebnisse der Septemberwahlen in Ostdeutschland für die Debatte haben werden. Womöglich werden die deutschen Grenzen dann doch weniger durchlässig für Flüchtlinge, die aus europäischen Nachbarstaaten einreisen wie beispielsweise der Täter von Solingen, der aus Bulgarien kam und dorthin wieder abgeschoben werden sollte, was er aber offenkundig allzu leicht zu verhindern wusste.
Klar wurde im ARD-Sommerinterview jedenfalls, dass Söder damit rechnet, dass das Thema Migration den Bundestagswahlkampf dominieren wird. Er schloss – „als CSU-Vorsitzender“ – eine schwarz-grüne Koalition im Bund aus („no way“); die Grünen sind für ihn die Partei, die sich in Migrationsfragen unbelehrbar zeige und beispielsweise die Einführung der Bezahlkarte sabotiere, wo sei könne.
Söder auf Kanzlerkurs
Das war ein freundlicher Gruß an Friedrich Merz, seinen Konkurrenten um die Kanzlerkandidatur, der sich die Machtoption einer schwarz-grünen Koalition offenzuhalten möchte. Im nächsten Atemzug hob der listige Söder die inhaltlichen Übereinstimmungen mit Merz hervor. Und sehr aufgeräumt gestand er zu, dass die CDU den ersten Zugriff auf die Kanzlerkandidatur habe und dass ein CSU-Vorsitzender nur dann zum Zuge kommen werde, wenn die Schwesterpartei ihn darum bitte.
Dass er genau das noch längst nicht für ausgeschlossen hält, strahlte Söder mit jeder Pore seines Körpers aus. Und die ARD tat ihm den Gefallen, dazu die Umfrageergebnisse einzublenden, wonach der Bayer dem Sauerländer meilenweit voraus ist, wenn es um den Favoriten für die Kanzlerkandidatur der Union geht.
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