Als ich zum ersten Mal meine Absicht bekundete, mir eine Leinengarderobe für den deutschen Sommer zuzulegen, erntete ich mit sanftem Spott gefärbtes Interesse. „Viel Spaß beim Bügeln“, war der Grundtenor, gefolgt von: „Gehört das nicht eher in den Urlaub?“ Und klar, natürlich hat Leinen seine Nachteile: Der Stoff knittert schon, wenn man ihn schief anblickt. Elastisch ist er auch nicht, deswegen verlangt er nach luftigen, weiten Schnitten. Und das wiederum führt dazu, dass er in der Slim-Fit-Businesshemdenwelt wirkt, als hätte der Chef einen von der Côte d’Azur per Direktflug ins Büro beordert.
Es gibt Menschen, die im Sommer stets so wirken, als wären sie gerade einer Plakatwerbung für einen Urlaub auf Santorin entstiegen: Leicht gebräunter Teint von der Sonne, beschwingt von einer Überdosis Vitamin D, und Schweißdrüsen scheinen sie auch keine zu besitzen. In der Hitze fühlen sie sich wohl, schlagen Aktivitäten vor wie Volleyballspielen oder lange Spaziergänge, danach vielleicht noch zwei oder drei Aperol Spritz auf der Terrasse. Sie sind wie Sonnenblumen: Strahlend schön anzusehen. Und ein bisschen hohl.
Ja, da spricht der Neid aus mir. Ich, der den Sommer eigentlich liebt, aber von ihm gnadenlos zurückgewiesen wird: Die Hitze bereitet mir Kopfschmerzen, ohne Ventilatoren oder Klimaanlagen bin ich tendenziell nicht lebensfähig. Kommt noch Alkohol hinzu, kann man mich am folgenden Tag für gar nichts gebrauchen. Hemden und T-Shirts sehen nach zwei Stunden aus, als hätte ich darin gebadet. Und jede freie Stelle, die nicht mit Sonnencreme (Lichtschutzfaktor 50) bedeckt wurde, leuchtet nach kurzer Zeit in sattem Rot. Wenn die anderen sommerliche Sonnenblumen sind, bin ich die Tomate, reif für die Ernte.
Leinen, mein Sommer-Wingman
Aber mit Leinen habe ich einen Verbündeten gefunden, quasi einen Wingman, um dem Sommer den Kopf zu verdrehen und ihn zu meiner Jahreszeit zu machen. Der dafür sorgt, dass ich auch so aussehe, als gehöre ich mit einem Campari Orange an eine zum Meer hin offene Bar in Nizza oder Antibes. Es ist ein Stoff, der so klar und deutlich „Sommer!“ ruft wie kein anderer und sich dabei doch nicht so stillos aufdrängt wie kurze Hosen oder ärmellose T-Shirts. Denn seien wir ehrlich: Wenn im Juli und August ein Drittel der Belegschaft im Urlaub ist, dann freut man sich im Büro doch über ein bisschen Sommerfeeling. Und deswegen ist Leinen perfekt: Man kann in Hemd und langer Hose mit einem Paar schicker Loafer auflaufen und schafft dank der oft gedeckten Farben doch die Gratwanderung zwischen Lässigkeit und Seriosität.
Skeptiker werden nun sagen: Schön und gut, aber Leinen knittert. Ja, Leinen knittert. Genau darin liegt seine Einzigartigkeit. In einer Welt, die Perfektion und Glätte oft als Ideal ansieht, zeigt Leinen, dass wahre Schönheit in der Unvollkommenheit liegt. Ein leicht zerknittertes Leinenhemd vermittelt eine unaufgeregte Souveränität. Es sagt: „Es gibt Wichtigeres im Leben, als sich um jedes Detail zu sorgen.“ Jede Falte erzählt ihre eigene Geschichte und verleiht dem Träger eine Aura der Gelassenheit und Erfahrung.
Eine textilgewordene Klimaanlage
In Zeiten des Klimawandels, wenn die Sommer immer heißer werden, bieten Kleidungsstücke aus Leinen eine unvergleichliche Atmungsaktivität. Während synthetische Stoffe den Schweiß auf der Haut halten und für ein unangenehmes Tragegefühl sorgen und Baumwolle wie ein Schwamm jeden Tropfen aufsaugt, lässt Leinen die Haut atmen und reguliert die Körpertemperatur auf natürliche Weise. Dies führt zu weniger Schweißflecken und einem allgemein angenehmeren Gefühl, selbst an den heißesten Tagen. Eine textilgewordene Klimaanlage.
Und im Gegensatz zu Baumwolle benötigt die Flachspflanze, aus der Leinen gewonnen wird, deutlich weniger Wasser und Pestizide. In einer Zeit, in der der sorgsame Umgang mit Ressourcen immer wichtiger wird, ist Leinen eine hervorragende Alternative zu anderen Materialien. Zudem ist der Stoff biologisch abbaubar und hinterlässt kein Mikroplastik in unserer Umwelt. Nicht, dass ich Leinen aus Gründen des Umweltbewusstseins tragen würde, aber das Quecksilber des Thermometers, das jedes Jahr ein Stückchen höher klettert, verlangt hin und wieder nach etwas Greenwashing fürs eigene Gewissen.
Eine der schönsten Nebenwirkungen der Garderobe ist allerdings der Sonnenschutz. Ich muss keinen Kompromiss mehr eingehen: Will ich schwitzen oder lieber verbrennen? Lange Hosen, langärmelige Hemden und eine leichte Schiebermütze helfen besser gegen UV-Strahlung als jedes Eincremen, bei dem man doch wieder eine Stelle vergisst. Und man spart sich neben den Flecken in der Kleidung auch den penetranten Geruch, der mich immer an Kindergeschrei im Freibad erinnert.
Fünf Leinenhemden hängen mittlerweile in meinem Schrank, zwei Hosen komplettieren die Garderobe. Ich überlege, die Auswahl noch um einen Anzug zu ergänzen. Es gibt Momente im Berufsleben, wo man auf das Sakko einfach nicht verzichten will – nicht einmal bei 36 Grad und knallender Sonne. Und ein anderer Vorteil des Sakkos liegt natürlich auf der Hand. Das zerknitterte Hemd lässt sich unter ihm kinderleicht verstecken. Und wer nun fragt, was ich denn im Urlaub trage: natürlich das Gleiche wie zu Hause. An der Côte d’Azur passe ich in meinen Arbeitshemden perfekt ins Bild. Vielleicht brauche ich noch eine kurze Hose. Aus Leinen, natürlich.
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