Am Sonntag ist endlich wieder Wahl! Während allerlei Bürger diesem Hochamt der Demokratie entgegenfiebern, fragen sich viele Politiker bang, wie sie kurz nach 18 Uhr das Wahlergebnis erklären sollen, zumal dann, wenn sie, wie zu erwarten, verloren haben. Wie niederschmetternd darf eine Niederlage sein, dass man sie doch noch in einen Sieg umdeuten kann? Sind zehn Prozentpunkte Verlust im Vergleich zum vorigen Mal okay? Oder sollte man ganz andere Maßstäbe anlegen, „zumal in diesen Zeiten“?
Man kann ja auch sagen: „Gemessen an dem, was die Umfragen befürchten ließen, sind wir der Stabilitätsanker.“ So machte es die SPD nach den jüngsten Wahlen in Sachsen und Thüringen. Man kann auch auf die Parteien verweisen, denen es noch schlechter ergangen ist. Da bietet sich auf Sicht vor allem die FDP an. Oder man versucht sich an einer historischen Einordnung: „In Sachsen hatten wir es immer schon schwer.“ Oder: „Die Volksparteien sind überall unter Druck. Auch die Union kann sich von diesem Trend nicht abkoppeln.“
Ein Top-Argument: der Bundestrend
Überhaupt der Trend: „Der Bundestrend war gegen uns“ ist gerade bei Landtagswahlen immer ein Top-Argument. Seit es die AfD und das BSW gibt, haben insbesondere die Grünen ein noch besseres: Wenn sie verloren haben, ist das eigentlich Dramatische nie die eigene Niederlage, sondern das, wofür diese lediglich Symptom ist: „die Gefährdung der Demokratie“ und „des gesellschaftlichen Zusammenhalts“. Womöglich sogar: „Weimarer Verhältnisse“. Deswegen „müssen jetzt alle demokratischen Kräfte zusammenstehen“.
Oft wollen es die Moderatoren dann doch ein bisschen genauer wissen. Aber die Frage „Woran lag’s?“ ist quasi unbeantwortbar: Denn wenn man es wüsste, hätte man es schon vor der Wahl anders gemacht, es sei denn, man wollte, dass die Wahl verloren geht, was auch schon mal vorkommen sein soll, Stichwort „2021 darf sich nicht wiederholen“.
Es gibt verschiedene Arten, mit völliger Ratlosigkeit umzugehen. Die etwas Vorsichtigeren kündigen an, was dann eh nie gemacht wird: „Wir werden uns in den Gremien zusammensetzen und das Ergebnis in Ruhe, aber schonungslos analysieren.“ Die Forscheren überkompensieren und leiten ihre Statements ein mit: „Was wir jetzt brauchen, ist . . .“. Meistens kommt dann so etwas wie: „Mehr Geschlossenheit.“ Oder: „Wir müssen wieder raus zu den Menschen“, „in die Fläche“, wobei oft übersehen wird, dass persönlicher Kontakt alles noch viel schlimmer machen könnte.
Ein anderer Klassiker: „Wir müssen unsere Inhalte noch besser erklären.“ Damit verwandt ist: „Wir sind mit unseren Themen nicht durchgedrungen“, weil wahlweise die Migration, das Jahrhunderthochwasser oder die Sache mit dem E-Roller „alles überlagert“ habe. Das sei natürlich „Wasser auf die Mühlen der AfD“ gewesen.
Und natürlich darf es nie Denkverbote geben
Wenn man der aufgeklärten Linken angehört und also für sich in Anspruch nimmt, gegen Populismus immun zu sein, empfiehlt es sich, in der Elefantenrunde den Satz einzustreuen: „Es gibt keine schnellen Lösungen.“ Wahlweise: „keine einfachen Lösungen.“
Neigt man der Rechten oder der Technologieoffenen zu, ist es nie schlecht zu sagen: „Es darf jetzt keine Denkverbote geben. Alles muss auf den Prüfstand.“ Auf jeden Fall dürfe es „kein Weiter-so geben“. Oder wie man es bei der hochkultivierten, charmanten, beim Zeitschinden besonders findigen FDP formulieren würde: „Offen gestanden, Frau Schausten, ist es meine tiefe Überzeugung, dass es kein Weiter-so geben darf.“
Am kniffligsten ist es, Verantwortung zu übernehmen, und doch im Amt zu bleiben. Hier hat nun Hendrik Wüst eine neue, auch brandenburgtaugliche Benchmark gesetzt. Auf die Frage, warum der Solinger Messerstecher nicht längst abgeschoben worden sei und ob das Konsequenzen für seine verantwortliche Ministerin habe, sagte er: „Die entscheidenden Konsequenzen sind zu ziehen, die Dinge besser zu machen.“ Da wundert einen nicht mehr, dass Wüst gerade bei den Jungen, den Modernen, bei denen, die auf Zukunft aus sind, der Kanzlerkandidat der Herzen ist.
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