Nach langem Warten kann die Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen Russland bald auf die amerikanischen F-16-Kampfflugzeuge zurückgreifen. Die Verlegung der ersten Modelle ist laut NATO-Partnern bereits im Gange, ab diesem Sommer sollen sie einsatzbereit sein. Das angegriffene Land erhofft sich von den westlichen Kampfflugzeugen – bislang verfügt die Ukraine nur über sowjetische – einen besseren Schutz gegen russische Raketen, Marschflugkörper, Gleitbomben und Drohnen im Verbund mit bodengestützten Abwehrsystemen. Die Flugzeuge könnten solche Angriffe im besten Fall aus sicherer Distanz abwehren.
Die Vereinigten Staaten, die Niederlande und Dänemark kündigten am Dienstag in einer gemeinsamen Erklärung am Rande des NATO-Gipfels in Washington an, dass der Transfer der Flugzeuge begonnen habe. Diese werden von den Niederlanden und Dänemark bereitgestellt. Details zur Lieferung und dem geplanten Einsatz nannten die Verbündeten aus Sicherheitsgründen nicht. Welche Version des Flugzeugs und mit welcher Bewaffnung sie übergeben werden, ist unbekannt.
Die USA hatten im Mai 2023 anderen Ländern den Weg für die Lieferung frei gemacht. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach damals von einer „historischen“ Entscheidung. Seitdem haben sich auch Belgien und Norwegen der sogenannten Kampfflugzeug-Koalition angeschlossen und Lieferungen zugesagt. Ursprünglich sollten die ersten F-16 schon zum Jahreswechsel in der Ukraine ankommen. Offenbar gab es aber Verzögerungen bei der Ausbildung ukrainischer Piloten.
Selenskyj: Ukraine braucht 128 F-16
Wie viele F-16 genau noch in diesem Jahr an die Ukraine übergeben werden, ist unklar. Allerdings wohl weniger, als Selenskyj für den Luftkampf gegen Russland als nötig erachtet. Die Zusagen der Partner seien zu wenig, sagte er vor wenigen Tagen. Sein Land brauche mindestens 128 F-16-Kampfflugzeuge – ansonsten sei die Ukraine nicht in der Lage, mit Russland in der Luft mitzuhalten.
Die F-16 könnten neben Defensivoperationen je nach Bewaffnung auch zur Unterstützung der eigenen Bodentruppen oder gegen russische Logistik- und Befehlsstände hinter der Front eingesetzt werden. Die Flugzeuge sollen nach den Worten Selenskyjs die russische Dominanz in der Luft beenden. Moskaus Luftstreitkräfte sind auf dem Papier deutlich überlegen. Russland könne täglich 300 Flugzeuge zu Angriffen auf die Ukraine einsetzen, sagte Selenskyj. Dennoch gelang es bislang weder Moskau noch Kiew, die totale Luftüberlegenheit zu erlangen. Das liegt an äußerst effizienten Flugabwehrsystemen auf beiden Seiten, die die gegnerischen Kampfflugzeuge in Frontnähe vor große Probleme stellen.
Fachleute dämpfen die Erwartungen
Einige Fachleute dämpfen auch vor diesem Hintergrund die Erwartungen hinsichtlich des Offensivpotentials der F-16 im Krieg in der Ukraine. Die Militäranalystin Kelly Grieco, die sich in Washington mit modernem Luftkampf auseinandersetzt, sagte der F.A.Z.: Die „Durchführbarkeit und Effektivität“ von F-16-Einsätzen stoße bei Offensivoperationen an Grenzen.
Bei den F-16 handelt es sich um Flugzeuge der sogenannten 4. Generation. Sie sind technisch weniger fortschrittlich als Modelle der 5. Generation, über die unter anderem die USA verfügen. Die F-16, die in der amerikanischen Luftwaffe während der Carter-Administration eingeführt und seitdem mehrfach modernisiert wurden, besitzen etwa keine Tarnkappentechnik. Das mache sie gegenüber der russischen Luftverteidigung äußerst verwundbar, sagte Grieco: „Wenn die Russen eines haben, dann sind es gute Flugabwehrsysteme.“
Empfindliche Flugzeuge
Andere Analysten sehen allerdings die Möglichkeit, mit den F-16 genau diese Abwehrsysteme sowie Radaranlagen zu bekämpfen. Die russische Flugabwehr ist schon seit Langem ein Schlüsselziel der Ukraine. Der Militäranalyst Frederik Mertens erwartet, dass die F-16 hier wichtige Vorteile bringen wird. Der F.A.Z. sagte er kürzlich, dass die Flugzeuge über Software und über Sensoren verfügten, mit denen russische Systeme weitaus besser identifiziert werden könnten, als es der Ukraine bislang möglich sei. Die F-16 seien zwar kein „Gamechanger“, und bei Manövern gegen die russische Flugabwehr werde es auch Verluste geben. Aber: „Sie werden die volle Flexibilität mit Anti-Radar-Raketen ermöglichen – und das wird einen Unterschied machen.“
Kritiker der F-16-Lieferung verweisen allerdings darauf, dass die Flugzeuge empfindlicher seien als die Modelle, über die Kiew bislang verfügt. Anders als etwa die sowjetischen MiG-29, die auch von großen Straßen abheben können, benötigen die westlichen F-16 lange Start- und Landebahnen mit einer guten Bodenbeschaffenheit ohne Risse oder Unebenheiten. Zudem sind die Flugzeuge wartungsintensiv. Laut dem wissenschaftlichen Dienst des amerikanischen Kongresses benötigt die amerikanische Luftwaffe für jede Flugstunde etwa 16 Stunden Wartung. Zudem sei das Wartungspersonal auf spezielle Ausrüstung und eine „massive“ logistische Organisation angewiesen.
Andererseits spielt der Ukraine die große Verfügbarkeit der F-16 in die Karten. Mehrere NATO-Länder haben die Flugzeuge in ihren Beständen oder rüsten auf modernere Flugzeuge um. Ein Mangel an Ersatzteilen zeichnet sich also nicht ab. Einer langfristigen Stärkung der ukrainischen Luftwaffe stünde damit nichts im Weg.
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