Angesichts drohender Vergeltungsschläge Irans und seiner Verbündeten gegen Israel versuchen die USA einen großen Krieg im Nahen Osten doch noch abzuwenden. „Wir führen fast rund um die Uhr intensive diplomatische Gespräche mit einer ganz einfachen Botschaft: Alle Parteien müssen von einer Eskalation absehen“, sagte US-Außenminister Antony Blinken nach einem Treffen mit seiner australischen Kollegin Penny Wong in Washington. Der genaue Zeitpunkt des weithin erwarteten Angriffs auf Israel ist weiter unklar, laut Medienberichten könnte er aber unmittelbar bevorstehen.
Das „Wall Street Journal“ zitierte Beamte der US-Regierung, sie hätten seit dem Wochenende beobachtet, dass Iran Raketenwerfer bewege und militärische Übungen abhalte. Dies könne darauf hindeuten, dass sich Teheran auf einen Angriff in den kommenden Tagen vorbereitet. Iran und seine Verbündeten in der Region haben angekündigt, Israel für die Tötung des Hamas-Auslandschefs Ismail Hanija in Teheran und des Hizbullah-Kommandeurs Fuad Schukr in Beirut vergangene Woche hart zu bestrafen.
US-Präsident Joe Biden zog sich mit seinem Sicherheitsteam ins Lagezentrum des Weißen Hauses zurück. Er und Vizepräsidentin Kamala Harris seien über die Bedrohungslage, über die Bemühungen zur Deeskalation und Vorbereitungen zur Unterstützung Israels im Angriffsfall informiert worden, ließ Biden im Anschluss auf der Plattform X wissen. Es seien zudem Maßnahmen erörtert worden, um US-Streitkräfte in der Region zu verteidigen „und auf jeden Angriff auf unser Personal auf eine Weise und an einem Ort unserer Wahl zu reagieren“.
Pentagon: US-Soldaten bei Angriff in Irak verletzt
Bei einem Angriff auf einen Militärstützpunkt in Irak wurden nach ersten Erkenntnissen des Pentagons mehrere US-Soldaten verletzt, wie ein Sprecher des US-Verteidigungsministeriums sagte. Demnach war der von US-Truppen und Partnern genutzte Luftwaffenstützpunkt Al-Asad mutmaßlich mit einer Rakete angegriffen worden. Seit Beginn des Gazakriegs zwischen Israel und der islamistischen Hamas greifen mit Iran verbündete Milizen immer wieder US-Militärstützpunkte in Irak und in Syrien an.
US-Verteidigungsminister Lloyd Austin und sein israelischer Kollege Joav Galant waren sich in einem gemeinsamen Gespräch einig, dass der Angriff eine „gefährliche Eskalation darstellt und die destabilisierende Rolle Irans in der Region verdeutlicht“, wie ein Sprecher des Pentagons im Anschluss mitteilte. Die USA verlegen dem Pentagon zufolge zusätzliche Kriegsschiffe und Kampfflugzeuge in die Region. Der Kommandeur der US-Truppen im Nahen Osten, General Michael Erik Kurilla, traf sich in Israel mit Generalstabschef Herzi Halevi.
Bei der Unterredung ging es dem israelischen Militär zufolge auch um „gemeinsame Vorbereitungen“, um den Bedrohungen in der Region zu begegnen. Der israelische Verteidigungsminister Joav Galant sagte laut örtlichen Medien bei einem Besuch der unterirdischen Kommandozentrale der Luftwaffe in Tel Aviv, das Militär müsse sich auf alle Möglichkeiten vorbereiten, auch auf einen „schnellen Übergang zur Offensive“.
Bericht: Russland liefert Iran Ausrüstung zur Luftabwehr
Russland hat einem Medienbericht zufolge mit der Lieferung von modernen Radaranlagen und Ausrüstung zur Luftraumverteidigung an Iran begonnen. Iran habe zuvor in Vorbereitung eines möglichen Krieges mit Israel moderne Luftabwehrsysteme von Russland angefordert, berichtete die „New York Times“ unter Berufung auf zwei iranische Beamte, die mit der Kriegsplanung vertraut sein sollen. Die Lieferung sei angelaufen, hieß es nach Gesprächen des Sekretärs des russischen Nationalen Sicherheitsrates, Sergej Schoigu, mit ranghohen Vertretern Irans in Teheran.
Moskau pflegt enge Kontakte zu Teheran, hat aber auch Kontakte zu Israel. Die russische Regierung rief alle Seiten zur Zurückhaltung auf.
Angesichts des drohenden Angriffs auf Israel sollen Maschinen mit Flugziel Jordanien für eine mögliche Routenänderung vorbereitet werden. Alle ankommenden Flieger müssten vorab mit Treibstoff für 45 zusätzliche Flugminuten betankt werden, heißt es in einem Sicherheitshinweis der zivilen Luftfahrtbehörde des Königreichs. Im Fall eines Angriffs hätten sie damit ausreichend Treibstoff, um kurzfristig die Route zu ändern und in einem benachbarten Staat zu landen. Der Hinweis der jordanischen Behörde gilt bis heute Abend um Mitternacht (MESZ).
Iran hatte Israel im April erstmals direkt angegriffen. Während der Attacke mit mehr als 300 Drohnen, Raketen und Marschflugkörpern schloss Jordanien als erstes Land der Region seinen Luftraum.
Bundeswehr bereit für großen Evakuierungseinsatz
Angesichts der sich zuspitzenden Lage ist die Bundeswehr bereit für einen großen Einsatz zur Evakuierung deutscher Staatsbürger. Dazu werden auf dem Fliegerhorst im niedersächsischen Wunstorf Transportflugzeuge vom Typ A400M und Soldaten bereitgehalten, die kurzfristig starten können, wie der Deutschen Presse-Agentur erklärt wurde. Auch die Marine trifft demnach Vorbereitungen. Bei dem Einsatz könnte es vor allem um die Evakuierung von Deutschen gehen, die trotz mehrfacher Aufrufe zur Ausreise in Libanon geblieben sind.
Ein möglicher Bundeswehr-Beistand für Israel gilt als umstritten. Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestages, Marcus Faber, sieht einen Einsatz der Bundeswehr im Nahost-Konflikt skeptisch. Deutschland sollte Israel helfen, etwa mit der schnellen Bewilligung von Rüstungsexporten, sagte der FDP-Politiker dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Er fügte aber hinzu: “Die Bundeswehr in Israel wurde nicht angefragt und könnte wenig helfen.”
Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter hatte zuvor dafür plädiert, die Bundesregierung sollte angesichts der drohenden iranischen Attacke Israel auch militärischen Beistand zur Abwehr anbieten. Das sieht sein Parteikollege Johann Wadephul anders. “Szenarien wie eine militärische Unterstützung stehen nach unserer Kenntnis nicht auf der Tagesordnung. Dafür wäre ohnehin ein Bundestagsmandat vonnöten”, sagte der Unionsfraktionsvize dem RND.
Der SPD-Verteidigungsexperte Andreas Schwarz sagte dem RND: “Bisher liegen keine Anfragen aus Israel vor. Ich gehe aber davon aus, dass die Bundesregierung darauf vorbereitet ist und in dieser Frage mit Israel und den westlichen Verbündeten in Kontakt steht.” Schwarz verwies darauf, dass der Schutz Israels deutsche Staatsräson sei. “Dies ist ein klares Versprechen mit sehr hoher Verantwortung. Im Ernstfall müssen diesen großen Worten auch die entsprechenden Taten folgen.”
Zentralrat der Juden fordert militärische Unterstützung durch Bundeswehr
Deutlicher wurde der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster. Die historische Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit Israels sei zwar nicht rechtlich bindend, sagte Schuster im RND-Interview. Er betonte gleichwohl: “Aber aus meiner Sicht bedeutet das natürlich, dass Deutschland im Falle eines Angriffes in der Größenordnung, wie er aktuell droht, auch militärisch an der Seite des jüdischen Staates steht.”
Iran will derweil mit anderen islamischen Ländern über die Tötung des Hamas-Auslandschefs Hanija beraten. Dafür ist am Mittwoch auf Ebene der Außenminister eine Dringlichkeitssitzung der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) in Saudi-Arabien geplant, wo die OIC ihren Sitz hat. Bei dem Treffen in Dschidda solle es um die „Verbrechen der israelischen Besatzung“ gehen, darunter die „Ermordung“ Hanijas, teilte die OIC mit, der 57 islamische Länder angehören.
Iran und die Hamas machen Israel für die Tötung Hanijas in der vergangenen Woche verantwortlich, Israel hat sich bisher nicht dazu geäußert.
Biden bemüht sich um Deeskalation
Angesichts der wachsenden Sorgen vor einer Eskalation beriet sich US-Präsident Biden in einem Telefonat mit Jordaniens König Abdullah II. In dem Gespräch hätten die beiden ihre Bemühungen um eine Deeskalation der Spannungen erörtert, unter anderem durch die Vermittlung eines Abkommens über eine sofortige Waffenruhe im Gazastreifen und die Freilassung der Geiseln aus der Gewalt der Hamas, wie das Weiße Haus mitteilte.
Die indirekten Verhandlungen über ein solches Abkommen zwischen Israel und der Hamas drehen sich seit Monaten im Kreis. Da beide Seiten nicht direkt miteinander verhandeln, vermitteln die USA, Ägypten und Katar. Eine weitere Gesprächsrunde einer israelischen Delegation mit ägyptischen Unterhändlern endete am Wochenende in Kairo ohne Ergebnisse, wie israelische Medien berichteten.
Die Verhandlungen würden erst wieder aufgenommen, wenn Iran die Ermordung Hanijas vergolten und die Hamas einen Nachfolger für den getöteten Auslandschef ausgewählt habe, sagten zwei mit der Angelegenheit vertraute Beamte der „Times of Israel“. Hanija war einer der Hauptverhandler der Hamas bei den indirekten Gesprächen über eine Waffenruhe und Geiselfreilassung.
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