Bei Landtagswahlen geht es vor allem, aber nicht nur darum, wer das jeweilige Bundesland regieren soll. Die Wähler verstehen den Wahlakt auch als Gelegenheit, der Bundesregierung und der sie tragenden Koalition ein Zwischenzeugnis auszustellen. Darin hieß es schon früher oft: Versetzung gefährdet. Die kümmerlichen Prozente, die die Ampelparteien in Sachsen und Thüringen noch bekamen, besagen jedoch unmissverständlich: Versetzung ausgeschlossen. So gnadenlos kollektiv abgestraft wie SPD, Grüne und FDP wurden im Bund regierende Kräfte noch nie.
Eine Überraschung ist dieses Ergebnis nicht. Alle Umfragen hatten erkennen lassen, dass ein Tsunami des Zorns und der Enttäuschung auf die Ampelparteien zurollte. Sosehr sich die Regierenden in Sachsen und Thüringen bemühten, das Augenmerk der Wähler auf die Besonderheiten ihrer Länder zu lenken – es waren bundespolitische Streitthemen, die der AfD einen Schub gaben und dem Bündnis der Sahra Wagenknecht zu einem Senkrechtstart verhalfen: die Einwanderung, die innere Sicherheit, das Heizungsgesetz, die Verteuerung des Lebens, das Verhältnis zu Putins Russland.
Scholz hat den vielstimmigen Schrei zu lange ignoriert
Die Ampel hatte daher noch in den letzten Tagen vor der Wahl hektisch versucht, ihr Ansehen auf dem Feld zu verbessern, auf dem ihr mit Recht die schärfste Kritik entgegenschlägt. Die Regierung Scholz hatte zu lange den vielstimmigen Schrei ignoriert, den man in Anlehnung an ein bekanntes amerikanisches Diktum mit „It’s the migration, stupid!“ umschreiben könnte. Gehört haben müssen sie ihn sogar in Berlin-Mitte, denn er erscholl aus den Mündern zahlloser Bürger, Bürgermeister, Landräte, Ministerpräsidenten, Polizisten, Richter, Lehrer, Mitarbeiter der Ausländerbehörden. Überall war zu vernehmen: Wir schaffen das nicht (mehr)!
Die Ampelparteien aber gingen die Probleme nicht beherzt an, weil sie sich dafür von Glaubenssätzen über Einwanderungs- und Gesellschaftspolitik hätten verabschieden müssen, die ihnen heilig waren und mitunter noch sind. Die Maßnahmen, die die Koalition nach den Morden von Solingen binnen Stunden auf den Weg brachte, hätte sie auch schon vor drei Jahren beschließen können.
Wie eine Karikatur der Ankündigung des Kanzlers
Mit vielem, was die Ampel jetzt auf dem Gebiet der Asyl-, der Ausländer- und der Sicherheitspolitik ändert, straft sie sich selbst Lügen. Die Innenministerin ist plötzlich eine Anhängerin der Grenzkontrollen, die sie zuvor für nutzlos erklärt hatte. Nun sind sogar Abschiebungen nach Afghanistan möglich. Das schnell noch vor dem Wahlsonntag angesetzte Ausfliegen der gut zwei Dutzend Straftäter wirkt freilich wie eine von der Regierung selbst gezeichnete Karikatur der vor einem Dreivierteljahr gemachten Ankündigung des Kanzlers, „endlich im großen Stil ab(zu)schieben“.
Wird die Bluttat von Solingen zu dem Wendepunkt in der Flüchtlingspolitik, zu dem der Überfall Putins auf die Ukraine für die Russlandpolitik wurde, die auch lange grob fahrlässig bis trotzig an wirklichkeitsfremden Überzeugungen festgehalten hatte? Nun verlangt sogar der Bundespräsident maximale Anstrengungen, um die Zahl der ohne Berechtigung ins Land strömenden Flüchtlinge zu verringern.
Die jüngsten Beschlüsse der Koalition reichen dafür freilich nicht. Zu einem entschlosseneren Vorgehen an den Grenzen findet sich darin kein Wort. Wer sich aber so schwer beim Abschieben von Flüchtlingen ohne Asylanspruch tut wie Deutschland, sollte sie nicht erst auf sein Staatsgebiet lassen. Das hat nun auch für Steinmeier „Priorität“.
Auch die Union bricht erst spät mit Merkels Migrationspolitik
CDU und CSU, die zunächst auch nicht das Erbe von Merkels verfehlter Migrationspolitik ausgeschlagen hatten, machen noch mehr Druck auf die Koalition. In der Union weiß man, dass sich auch ein großer Teil der politischen Mitte nicht länger mit der Verharmlosung der vielfachen Probleme der Migration abspeisen lässt. Merz und Söder sind nun, auch weil zwischen ihnen noch die Frage der Kanzlerkandidatur offen ist, bereit zu Tabubrüchen, die den Bürgern sagen sollen: Jedenfalls wir haben verstanden. CDU und CSU wollen – und dürfen – nicht wie die SPD auf dem Friedhof der Volksparteien landen, auf dem nun die Geister von AfD und BSW mit höhnischem Gelächter um die Gräber tanzen.
Im Bund werden diese Volksverführer und -verhetzer nicht so leicht auf Ergebnisse wie in Sachsen und Thüringen kommen. Dennoch muss der Wahlausgang allen Demokraten eine Warnung sein, wie schnell und nachhaltig politische Verhältnisse ins Wanken geraten können, wenn viele Bürger für grundfalsch halten, was eine Regierung entscheidet und macht.
Dafür bekam die Ampel nun die Quittung. Wird sie deswegen vorzeitig die Macht abgeben? Wohl kaum. Wird die Regierung Scholz das Jahr nutzen können, das ihr bleibt, um ihre Irrtümer zu korrigieren, was Deutschland sehr zu wünschen wäre? Die neuesten Botschaften, nun sogar aus dem Bellevue, hört man wohl, allein es fehlt einem mittlerweile der Glaube.
#State #elections #Thuringia #Saxony #Tsunami #anger #traffic #light #coalition