Michael Kretschmer hat schon wenige Tage nach dem Votum der Sachsen von Neuwahlen geredet. Die würden kommen, falls es mit der neuen Regierung in Dresden nichts wird. Das Wahlergebnis, das die CDU als stärkste Kraft im Freistaat bestätigt hat, setzt den Wahlsieger zugleich unter Druck. Denn Kretschmer steht als erster Politiker vor der Aufgabe, eine Koalition mit der Partei von Sahra Wagenknecht, dem BSW, hinzubekommen. Es ist eine Herausforderung, die ihm und der ganzen Union Bauchschmerzen bereitet.
Der sächsische CDU-Chef hat, anders als sein Kollege Mario Voigt in Thüringen, nicht unbegrenzt Zeit, bis er damit zu Potte kommen kann. Denn die Verfassung Sachsens legt für die Wahl eines Ministerpräsidenten eine Frist fest. Vier Monate nach der Konstituierung des Landtags, die Anfang Oktober erfolgt, muss ein Regierungschef gewählt sein, also Anfang Februar, sonst wird der Landtag in Dresden aufgelöst. Eine Neuwahl aber will die sächsische CDU unbedingt vermeiden. Sie würde mutmaßlich die AfD noch weiter stärken.
Kapriolen der Spielernatur
Mit Geduld, Selbstvertrauen und in Trippelschritten will Kretschmer die Sache angehen. Einen Grund für Selbstbewusstsein hat er eigentlich. Denn nicht zuletzt durch seine Wahlkampftour ist es der CDU noch einmal gelungen, vor der AfD zu landen. Das hat etwas mit Kretschmers bemerkenswerten Eigenschaften als Kommunikator zu tun, mit seinem rhetorischen Talent, das ihn über Sachsen hinaus zu einer Art Klassensprecher Ostdeutschlands gemacht hat. Dass die sächsische CDU bei 31,9 Prozent landete und damit gut zehn Prozentpunkte besser abschnitt als bei der Europawahl drei Monate zuvor, liegt auch am Kretschmer-Effekt. Dass er in seinen frei gehaltenen Reden mitunter wilde Kapriolen schlägt, hat mit der Spielernatur zu tun, die Kretschmer eigen ist.
Obwohl sie am Ende vorn lag, konnte sich die Sachsen-CDU am Wahlabend aber nicht recht freuen. Denn der Sieg hat einen bitteren Geschmack. Das Ergebnis der CDU stagnierte. Nimmt man es auf die Stelle hinter dem Komma genau, war es sogar das schlechteste Ergebnis der Partei seit 1990. Zudem gab mehr als die Hälfte der CDU-Wähler an, die Partei des Ministerpräsidenten nur gewählt zu haben, um einen Sieg der AfD zu verhindern. Das heißt: Obwohl die wirtschaftliche Lage in Sachsen gut ist, schwindet die Bindekraft der Union. Das ist für eine politische Kraft, die sich ähnlich wie die CSU in Bayern als Staatspartei versteht, schwer zu verkraften.
Die AfD, die sich in Sachsen als bessere CDU darzustellen versucht, legte dagegen um mehr als drei Prozentpunkte zu und konnte der Union zahlreiche Direktmandate abnehmen. Das hat auch damit zu tun, dass die Kretschmer-Union auf dem flachen Land viele Repräsentationslücken gelassen hat, die von der AfD genutzt wurden. Mehr als zwei Prozent der Wähler votierten zudem für die rechts von der AfD stehenden Freien Sachsen. Die CDU als Bollwerk der Mitte steht also in Sachsen unter heftigem Beschuss.
Die Folgen der Nicht-mit-den-Grünen-Linie
Seinen Wahlkampf richtete Kretschmer ganz gegen die Ampel in Berlin aus. Dabei schlug er über Monate auf die Grünen ein, die in Dresden sein Koalitionspartner waren. Sie und die anderen Regierungskräfte in Berlin seien schuld, dass die Sachsen unzufrieden seien und deshalb Randparteien wählten. Natürlich wollten viele Wähler der Ampel einen verdienten Denkzettel verpassen. Doch Kretschmer ist klug genug, um zu wissen, dass das allenfalls die halbe Wahrheit ist. In Sachsen hatte die AfD vor fünf Jahren, als es im Bund noch keine Ampelregierung gab, schon 27 Prozent.
Mit seinem Anti-Grünen-Wahlkampf hat Kretschmer bewirkt, dass eine Koalition ohne eine Pro-Putin-Partei in seinem Bundesland nicht möglich ist. Als Söder des Ostens will Kretschmer bei der Nicht-mit-den-Grünen-Linie bleiben, wünscht sie sich im kommenden Jahr auch für die Bundes-CDU. Dann stellt sich allerdings die Frage, wie viele mögliche Bündnispartner die Union in der demokratischen Mitte noch haben wird.
Kretschmer muss nun eine Abwehrkoalition gegen die AfD bilden mit einer Sieben-Prozent-SPD und dem doppelt so starken BSW, einer populistischen Partei, die Moskaus Interessen vertritt. Wie stabil dieses Bündnis sein wird, wenn es überhaupt zustande kommt, ist höchst ungewiss. Die sächsische BSW-Spitzenkandidatin Sabine Zimmermann macht nicht den Eindruck, dass sie sich für Landesinteressen gegen Sahra Wagenknecht durchsetzen könnte. Kretschmer, der von Wagenknecht nichts hält, mag mit ihrer Russland-Agenda weniger Probleme haben als andere CDU-Politiker. Doch die Aussicht, dass sein viel beschworener eigener sächsischer Weg aus einer Villa im Saarland bestimmt wird, kann ihm eigentlich keine Ruhe lassen. Er geht nun ein Wagnis ein, das er sich zu Teilen selbst geschaffen hat.
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