Herr Mitter, in Ihrer Bewerbung für die Debattenaktion „Deutschland spricht“ schreiben Sie, der „kulturelle Niedergang“ mache Ihnen Sorgen. Wie haben Sie das gemeint?
Das klingt ein bisschen hochtrabend, was ich da geschrieben habe. Ich nenne Ihnen ein Beispiel, um es konkret zu machen: Wenn ich mit dem Zug zu meiner Freundin fahre, wird sich vor dem Aussteigen direkt reingedrängt, niemand macht Platz. Wir haben ein gesamtgesellschaftliches Problem eines zunehmenden Egoismus. Gegenseitiger Respekt nimmt ab, auch in der Debattenkultur. Man kann das vom kleinen Fall der Zugtüren hoch bis zur Debattenkultur ziehen. Diese Entwicklung macht mir Sorgen.
Wenn Sie bei den Landtagswahlen in den ostdeutschen Bundesländern Ihre Stimme abgeben könnten, welches Thema würde für Sie die größte Rolle spielen?
Der Wirtschaftsstandort wäre für mich ausschlaggebend. Ich finde es gut, dass der Klimaschutz in meiner Generation ein wichtiges Thema ist. Oft wird dieser jedoch als Gegenstück zur Wirtschaft gedacht – eine florierende Wirtschaft bedeute schlimmere Auswirkungen für den Klimawandel, und Klimaschutz bedeute eine abschwächende Wirtschaft. Dabei ist wirtschaftliche Stärke eine Voraussetzung für effektiven Klimaschutz. Die größten Sorgen macht mir die Rentensituation in unserem Land. Dass man nach 45 Jahren Arbeit in Rente gehen möchte, Stichwort „Rente mit 63“, ist menschlich absolut nachvollziehbar, aber volkswirtschaftlich ein Problem – nicht erst in der Zukunft, sondern schon jetzt. Es gab mal den Vorschlag eines individuellen Renteneintrittsalters. Dass der Rechtsanwalt, der Notar oder der Architekt, der eher Schreibtischtäter ist, deutlich länger arbeiten kann als der Handwerker, der mit 68 nicht mehr auf dem Dach rumturnen sollte, das leuchtet ein.
Auf welchen Ausgang der Landtagswahlen in den ostdeutschen Bundesländern hoffen Sie? Welche Koalition wünschen Sie sich?
Am liebsten wäre mir keine Koalition. Ich bin CDU-Mitglied, deshalb wünsche ich mir für die Partei eine absolute Mehrheit. Ich könnte mir auch eine Minderheitsregierung vorstellen. Dann hätte man keine starre gesetzgebende Mehrheit, aber trotzdem eine verwaltende Regierung, und das wäre mir lieber als eine Koalition mit dem BSW oder der AfD. Das sind für mich zwei absolut unwählbare Parteien. Politisch ist die Brandmauer für mich zwar nachvollziehbar, aber ich sehe es kritisch, die Parteien vom Spielfeld fernzuhalten und ihnen keine Gestaltungsmöglichkeit zu geben, gleichzeitig aber auch keinen Verbotsantrag zu stellen. Man möchte sie rechtlich nicht verbieten, gleichzeitig politisch nicht mit ihnen zusammenarbeiten. Dadurch manövriert man sich in eine Spannungslage hinein. Man beschneidet sich bei Gesetzesvorhaben, die mit der CDU, der FDP, wahrscheinlich der AfD und vielleicht Teilen des BSW eine gesetzgebende Mehrheit erzeugen könnten. Wenn man kein Gesetz zustande bringen will, in dem Stimmen der AfD tragend sind, blockiert man sich ungemein selbst.
Hatten Sie persönlich in letzter Zeit eine Begegnung mit Ostdeutschen oder jemandem, der in Ostdeutschland lebt? Wie war Ihr Eindruck?
Tatsächlich nicht. Ich habe Kommilitonen, die ursprünglich aus dem Osten kommen, aber jetzt auch hier in Göttingen leben. Wir hatten neulich eine Diskussion über den Zusammenhalt von Ost und West. Der Berliner Uni-Professor Steffen Mau betont in seinem Buch „Ungleich vereint. Warum der Osten anders bleibt“ die Unterschiede zwischen Ost und West. Ich bin mir manchmal nicht sicher, ob die ständige Betonung von Grenzen nicht performativ zur Selbstbestätigung der These führt.
Are there situations in which you are worried about expressing your opinion publicly?
No, I can’t say that. Of course, it is part of the nature of democracy to encounter opposition in social discourse. Freedom of opinion is not sovereignty over opinion. The narrative of saying that freedom of opinion is at risk blurs the defensive status of fundamental rights with the spheres of political debate. Of course, people can and should be pointed out when they hold a strongly racist opinion, for example, but that does not mean that freedom of opinion is at risk. In my opinion, the corridor of debate has narrowed. Statements that used to be supported by the majority are now being criticized more harshly. In a way, that bothers me. If you want a pluralistic society, you can’t just mean migration background, ethnicities and other origins or beliefs, but also the culture of debate. That is also linked to increasing egoism. To think that your own opinion is the right one and that all clearly differing positions are equally unreasonable is racist or even socialist.
Would you personally be prepared to fight for Germany in the event of war?
Yes. Period. I want to make that very clear. Not just for Germany, but also for the entire NATO alliance. Before I start my career, I actively plan to train as a reserve officer and then go on maneuvers as a reservist. I think that’s a good thing, not to say a civic duty. We can’t just make demands on the state, we are all part of the state and make it up. If we owe it to the state, then we owe it to ourselves too.
A major controversial issue in the upcoming elections in the eastern German states is refugees. Both those who came to Germany in 2015 under Merkel with the slogan “We can do it” and those who are now coming to us from Ukraine. Do you have personal contact with refugees?
No, unfortunately not. I already live in a West German and university bubble without any strong
contact with refugees. It is definitely a conflict of conscience that one should get more involved. I am a devout Catholic, and charity is therefore the highest good. At the same time, it does not help to deny the problems, and I don’t know whether I would get more involved if I had more time. I can understand that the war in Ukraine is a bit closer to us, not only geographically but also emotionally, than the civil war in Syria, and that the legitimacy of Ukrainian war refugees is therefore sometimes more widely recognized. The economic refugee is more likely to come from the Middle East than from Ukraine. Overall, however, it should not make a difference whether it is a Syrian or a Ukrainian war refugee, at least not legally.
Maximilian Mitter is 23 years old and a law student. He lives in Göttingen. In the interview series “Seven Questions, Seven Answers”, participants in the reader debate campaign “Germany Speaks” answer questions about the elections in the eastern German states.
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