Die Türkei will Mitglied der BRICS-Staaten werden, einer 2006 von Brasilien, Russland, Indien und China gegründeten Gruppe von Schwellenländern. „Der Prozess ist im Gange“, sagte ein Sprecher der Regierungspartei AKP in Ankara. Die BRICS-Staaten treffen sich im Oktober in der autonomen russischen Teilrepublik Tatarstan. Niemand rechnet damit, dass der Antrag abgewiesen werden könnte, würde die Türkei als NATO-Staat den Klub mit derzeit neun Mitgliedern doch politisch aufwerten. Nachdem 2010 schon Südafrika dazugestoßen war, gehören der losen Gemeinschaft seit Beginn dieses Jahres auch Ägypten, Äthiopien, Iran und die Vereinigten Arabischen Emirate an. Schon diese Auflistung zeigt allerdings, dass die Staaten auch sehr unterschiedliche regional- und geopolitische Interessen haben.
Zwar ist die EU der wichtigste Handelspartner der Türkei. 2023 gingen 41 Prozent aller türkischen Exporte in die Gemeinschaft, während sie 29 Prozent aller Importe aus der EU bezog. Doch trotz des auf 206 Milliarden Euro gestiegenen Warenaustauschs sind die Beziehungen zwischen Ankara und Brüssel kompliziert. Die seit 2005 laufenden EU-Beitrittsgespräche liegen seit Jahren auf Eis. Die Türkei würde der von China und Russland angeführten BRICS-Vereinigung nicht nur wegen ihrer geographischen Lage als Produktionsstandort und Exportdrehscheibe zusätzliches Gewicht geben. In den BRICS-Ländern leben 42 Prozent der Weltbevölkerung, sie kommen auf ein Viertel der gesamten Wirtschaftsleistung. Mit der Türkei auf Platz 17 der größten Volkswirtschaften und einem Bruttoinlandprodukt von 1 Billion Dollar würde ihr Anteil weiter zulegen.
Die Staaten wollen ein Gegengewicht zur geopolitischen und wirtschaftlichen Dominanz des Westens bilden. Dazu gehört, ihre Abhängigkeit vom US-Dollar als internationaler Leitwährung zu reduzieren – Ziele, die auch der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan immer wieder propagiert. Die Türkei ist schon Mitglied der von Peking geführten Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit. Sein Land müsse sich nicht zwischen jener und der EU entscheiden, sagte Erdoğan unlängst, und: „Wir müssen unsere Beziehungen sowohl zu diesen als auch zu anderen Organisationen auf einer Win-win-Basis entwickeln.“
Geoökonomischer Kontrapunkt zu „westlich“ geprägten Institutionen
Erdoğan habe eine BRICS-Mitgliedschaft immer wieder ins Spiel gebracht, sagte der Ökonom Jens Bastian, „Fellow“ am Centrum für angewandte Türkeistudien (CATS), in Berlin der F.A.Z. Erdoğan sehe sie als „einen geoökonomischen Kontrapunkt zu ‚westlich‘ geprägten Institutionen wie dem Internationalen Währungsfonds, der Weltbank oder der Organisation für Zusammenarbeit und Entwicklung“. Der türkische Antrag sei eine „Fortsetzung der zu beobachtenden Intensivierung der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen zwischen Ankara, Moskau und Peking“. Er folge zeitnah der Ankündigung einer Milliardeninvestition des chinesischen Elektroautoherstellers BYD in der Türkei. Die Handelsbeziehungen zwischen der Türkei und Russland seien geprägt von wachsenden Ölexporten und russischen Atommeilern, die in der Türkei von Rosatom gebaut, finanziert und betrieben werden.
Unter diesen Vorzeichen sei es nur eine Frage der Zeit, bis die Türkei ebenso Mitglied in der BRICS-Bank New Development Bank (NDB) werden könne. „Damit würden sich neue Finanzierungsmöglichkeiten für Ankara eröffnen“, sagte Bastian. In der Tat ist die Türkei immer wieder auf der Suche nach neuen Devisenquellen zur Finanzierung ihrer defizitären Leistungsbilanz. Diverse Swap-Abkommen mit Notenbanken und der intensivierte Austausch mit den rohstoffreichen Golfstaaten legen davon Zeugnis ab.
Die BRICS verfügen auch über einen Mechanismus gegen Zahlungsbilanzkrisen, den CRA. Darauf zu setzen sei für die Türkei aber riskant, urteilte Commerzbank-Volkswirt Ulrich Leuchtmann: „Das wäre vielleicht das größte Risiko einer BRICS-Mitgliedschaft der Türkei: dass man sich in Ankara der Hoffnung hingibt, im Fall einer Zahlungsbilanzkrise billig rauszukommen.“ Denn das könne die Regierung zur Fortsetzung ihrer riskanten Wirtschaftspolitik verleiten.
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