Björn Höcke möchte persönlich gar nicht regieren – auch die Talkshow von Caren Miosga bekam es am Sonntagabend mit dem Verblüffungseffekt dieser These zu tun. Sind Höckes Bekenntnisse am Wahlabend, als AfD Regierungsverantwortung übernehmen zu wollen, nur mehrdeutige Show, weil in der Sache ohnehin aussichtslos? „Was will man denen denn geben? Die Lehrpläne, die Polizei?“, fragte der Journalist Robin Alexander bei Miosga. Höcke persönlich gehe es denn auch um die Position „des starken Opfers, das gemieden wird“. Spekulationen, wer im unwahrscheinlichen Thüringer Regierungsernstfall als AfD-Ersatzmann aus dem Landesparteivorstand übernehmen würde, nehmen um den Rauner Höcke und seine mehrstöckige Diskurskultur herum ihren Lauf.
Tatsächlich scheint man dessen schillernder rhetorischer Strategie an der Hand von Leo Strauss näherzukommen, einem der wirkungsmächtigsten politischen Philosophen des vorigen Jahrhunderts, der die Unterscheidung politischen Sprechens in esoterische und exoterische Aussagen traf. Exoterisch, für die breite Öffentlichkeit bestimmt, wäre demnach Höckes Bekenntnis zur Regierungsverantwortung mit einem beziehungsreichen Offenlassen der Personalfrage. Esoterisch, für einen engeren Kreis von Eingeweihten, stünde Höckes nun in der Tat zentrales politisches Motiv des „Widerstands“, eines Widerstands gegen ein, wie er es seit Jahren nennt, „kartellartig organisiertes Establishment“, womit nichts anderes als das liberale demokratische „System“ gemeint ist.
Die Rede vom falschen Ganzen
Man darf sich im Pulverdampf des Wahlausgangs nicht den Blick verstellen lassen auf die gleichsam transzendentale Systemüberwindung als den Leitstern von Höckes politischer Obstruktion und der Dynamik, die von Höcke für seine Partei und deren rechtspopulistisches Politikverständnis ausgeht. Im aktuellen AfD-Diskurs taucht immer wieder ein Zitat Höckes von einer Compact-Konferenz in Leipzig 2017 auf, das als eine Art systemüberwindende Schlüsselerzählung die großen Linien bis heute festlegte: „Unser Ziel“, so Höcke seinerzeit, „kann nicht darin bestehen, Teil dieses Kartell-Parteiensystems zu werden. Wir dürfen nicht zu einer Kartellpartei werden, die zwar jeden einzelnen Schritt hin zur Auflösung der Nationalstaaten missmutig kommentiert, um unzufriedene Wähler an sich zu ziehen, am Ende aber alle diese Schritte mitmacht.“ Eine solche Kartellpartei gebe es bereits: die CSU.
Höcke warnte bei derselben Gelegenheit vor dem „Ende der nationalen Selbstbestimmung durch Unterordnung unter supernationale Gebilde, allen voran: die EU“. Man müsse Alternative, nicht Variante im Blick auf „dieses falsche Ganze“ bleiben – nur scheinbar adornitisch anschlussfähig, operiert Höckes Totalität im Ungefähren aller Holismen. Was dieses Widerstandsmotiv an völkisch-nationalistischen Ideen mit sich führt, ist im Sog des Ganzheitlichen aufgehoben, sie bilden dort den Humus eines „wahren Ganzen“, als höhere Wahrheit für Eingeweihte, mit der das demokratische Kartellsystem entflammt werden soll, wenn man so will: von den Lehrplänen bis zur Polizei.
Der schöne Schein der Destruktion
Die inspirierende Verbindung von AfD und Identitären ist hier einschlägig, wird zugleich esoterisch wie exoterisch bewirtschaftet, wie zuletzt der langatmig heroisierende, musikalisch dräuend unterlegte Film „Der lange Anlauf“ über Höcke zeigte, vom identitär regierten Filmkunstkollektiv kurz vor der Wahl im Internet präsentiert. Die Ästhetisierung, ja Erotisierung des Widerstands nicht nur als politische Idee, sondern als subversive Lebensform um die entsystematisierte Idee der Nation herum ist der schöne Schein der Destruktion, den sich das Filmkunstkollektiv auf die deutsche Fahne schreibt, wo immer sie im Zeichen des Protests geschwenkt wird, bei Demos und Kundgebungen im Abendrot oder zuletzt bei der filmischen Bebilderung von Höckes langem Anlauf gegen das falsche Ganze.
„Unser Team“, heißt es in der Selbstauskunft des Filmkunstkollektivs, das die identitäre Normalisierung der Systemkritik als ästhetisches Lebensgefühl verkauft, „unser Team ist bei Protesten immer vorne in der ersten Reihe. Wir halten drauf und liefern die schönen Bilder des Widerstands.“ Man schieße hier „die Photos und Videos der Proteste, die ein Feuer auch bei anderen entflammen. Wir glauben an die Schönheit des Widerstands und tragen sie in die Welt hinaus.“ Und schließlich der Spendenaufruf zur Vermeidung der kartellisierten Apokalypse: „Wir arbeiten auf ehrenamtlicher Basis. Um die Schönheit des Widerstands in die Zukunft zu tragen, benötigen wir Ihre Unterstützung.“
Sahra Wagenknecht grüßt aus dem Schonraum
Was es bei der Folgenabschätzung jüngster Wahlen zu sehen gilt: Hier, in diesem ästhetisch aufgespielten Gedanken der Systemüberwindung, sprechen sich Rosstäuscherei, Irreführung und Camouflage des rechtspopulistischen Politikverwirrspiels exoterisch aus. Die stabilen, seit Jahren bestehenden Verbindungen zur rechtsextremistischen identitären Szene leben sich in einer Höcke-AfD aus, deren Verschleierung noch nicht einmal mehr versucht wird.
Auch Sahra Wagenknecht pflegt ihr politisches Inkognito, ihr Agieren jenseits persönlicher Regierungsverantwortung. Sie hat ihr Inkognito im Namen ihrer Parteigründung untergebracht, dort ist es nun überall präsent, wo die neuen Amtsträger des BSW als unbeschriebene Blätter Anlauf in die Regierungsverantwortung nehmen. Wagenknecht bleibt unterdessen im talkshowgestützten Schonraum des Ideenpolitischen unterwegs, mit einer eigenen, ebenfalls auf Systemüberwindung angelegten prorussischen Setzung, die aus allen realpolitischen Bezügen herauszufallen scheint. Sie verfolgt damit einen Widerstand, mit dem sie das auch ihrerseits für falsch gehaltene Ganze außenpolitisch zu destruieren trachtet. Als sei hier eine biographisch tief eingesenkte Idee außer Kontrolle geraten, jeder Realitätstauglichkeit spottend, scheint dieser Widerstand zugleich die Kriterien eines psychoanalytisch ansetzbaren Widerstands zu erfüllen.
So fallen die rot-grünen Belehrer aus dem Rahmen
Höcke und Wagenknecht – zwei im übrigen kaum analogisierbare Varianten eines Rechtspopulismus zeigen doch ein analytisches Desiderat nach der Wahl: Ein neues Framing, eine neue Rahmung politischer Widerstandsbewegungen braucht das Land.
Es reicht nicht, das Politikversagen der Etablierten, wie sie von den Rechtspopulisten als das Andere schlechthin gerahmt werden, damit zu erklären, dass man mit den Inhalten der Systemparteien offensichtlich „nicht durchdringen konnte“ (Saskia Esken, Kevin Kühnert). Die Inhalte selbst sind vielmehr zu befragen, wenn sie sich in etlichen Politikfeldern strukturell als nicht lieferfähig erweisen, ganz unabhängig davon, was von den einzelnen Lieferforderungen zu halten ist. Eine Ankündigungspolitik, die dann mit rot-grünem pädagogischen Eros vorrangig ihre Lieferengpässe beschreibt, macht es ganz und gar nicht leichter, der Verführung zur Systemüberwindung mit der Kraft der besseren Argumente begegnen zu wollen. Wenn solche im Modus der Ankündigung monate-, ja jahrelang auf der Stelle tretende Politik dann urplötzlich zeigt, was doch lieferbar ist, wenn nur in wenigen Tagen eine Wahl ins Land steht – dann steht man vor einem kontraproduktiven Spezialeffekt, der den Rechtspopulisten kurz vor der Wahl eher Auf- als Abtrieb gegeben haben dürfte.
Denn mit einem solchen Vorgehen bringen sich die demokratischen Parteien der politischen Mitte selbst in den Verdacht, ein doppeltes Spiel zwischen esoterischer und exoterischer Lesart aufzuführen. Das überkommene politische Framing bringt sich dann wie folgt in Verruf: Was wir, die guten parlamentarischen Kämpfer für Demokratie und Rechtsstaat, was wir euch rauf und runter als denkunmöglich beschrieben haben, das waren bloß leere, belehrende Sprechakte im auswärtigen Raum; nach innen gerichtet sprechen wir eine andere Sprache, sie folgt der Rationalität von Machtgewinnen und Machtverlusten, sie fällt zynisch aus dem Rahmen und duldet zumal eines nicht: Widerstand.
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