Vor etwas mehr als zwei Jahren wurde in Berlin ein Wortmonstrum geboren. Mit der Mittelfristenergieversorgungssicherungsmaßnahmenverordnung, kurz „EnSimiMaV“, wollte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) angesichts der damals extrem hohen Gaspreise Privathaushalte und Unternehmen zum Energiesparen anhalten. Auch wenn die Preise längst wieder auf Normalniveau sind, ist die Verordnung noch bis zum 30. September 2024 in Kraft. Und am 15. September endet eine wichtige Frist für Immobilieneigentümer.
Es geht um den sogenannten hydraulischen Abgleich von Gaszentralheizungen. Dabei geht es darum, den Wasserdruck in den Heizkörpern so einzustellen, dass sich die Wärme in einem Haus gleichmäßig verteilt und möglichst wenig Energie benötigt wird. Knapp 40 Prozent der Wohngebäude in Deutschland werden mit einer Gaszentralheizung beheizt, etwa 7,4 Millionen Häuser. Schon bis zum 30. September 2023 war der hydraulische Abgleich Pflicht in Gebäuden mit mindestens zehn Wohnungen. Bis Mitte dieses Monats muss der Abgleich auch in Häusern mit mindestens sechs Wohnungen gemacht sein. Zumindest theoretisch.
Praktisch dürfte dies eine der am meisten ignorierten Regeln sein, die sich eine Regierung je ausgedacht hat. Schon nach dem Bekanntwerden von Habecks Plänen im Spätsommer 2022 winkten Vertreter der Wohnungswirtschaft ab: nicht machbar, viel zu wenige Handwerker, viel zu hohe Kosten. Als der Immobilienverwalterverband VDIV unlängst seine Mitglieder zum Stand der Dinge befragte, antworteten 53 Prozent, die Frist für die größeren Mehrfamilienhäuser in keinem der von ihnen betreuten Häuser eingehalten zu haben. Nur 8,4 Prozent meldeten vollständigen Vollzug. Im Durchschnitt erfolgte nur in 17,7 Prozent der Häuser der hydraulische Abgleich wie vorgeschrieben. Beim jetzt nahenden Stichtag für die kleineren Mehrfamilienhäuser sieht es ähnlich aus. 40,3 Prozent der Verwalter gehen davon aus, die Frist in keinem ihrer Häuser einzuhalten, nur 9 Prozent wollen es überall schaffen.
„Teils erfüllt, teils nicht“
Sylvia Pruß ist Vizepräsidentin des Verbands und Inhaberin einer Hausverwaltung im brandenburgischen Strausberg, die 5000 Wohnungen in 200 Häusern betreut. „Teils erfüllt, teils nicht“: So fällt ihre Bilanz zum verpflichtenden hydraulischen Abgleich aus. Wegen der hohen Kosten – „da kommen schnell 800 bis 1000 Euro je Wohnung zusammen“ – kann sie als Verwalterin die Maßnahme nicht einfach beauftragen, sondern muss erst die Zustimmung der Eigentümer einholen. „Dann geht die Diskussion los: Ist es das wirklich wert?“, erzählt Pruß. Oft gebe es Maßnahmen, die eigentlich dringender wären, etwa die Dämmung von Kellerdecke oder Dach. Hinzu kommt: Die Kosten können bei vermieteten Wohnungen nicht auf die Mieter umgelegt werden. Die Eigentümer zahlen, von niedrigeren Energiekosten – sofern es diese gibt – profitieren aber die Mieter. Und dann ist da noch das Problem, dass überall Handwerker fehlen und die vorhandenen eigentlich anderes zu tun haben – zum Beispiel die politisch gewünschten Wärmepumpen einbauen. „Voll bis oben hin“ seien Fachfirmen, berichtet Pruß.
„Die extrem hohen, praxisfernen Gesetzesanforderungen sind – wie schon im Vorfeld und anlässlich der Einführung der Regelung kommuniziert – nicht im Detail erfüllbar“, sagt auch Axel Gedaschko, Präsident des Immobilienverbands GdW. Dabei haben es die Mitglieder seines Verbands noch vergleichsweise einfach: Sie sind professionelle Wohnungsunternehmen mit Technikern, Juristen und ohne lange Entscheidungswege.
GdW-Technikchef Fabian Viehrig wirft die Frage auf, wie sinnvoll die Vorgabe der Politik inhaltlich ist. Er berichtet von Untersuchungen, die regionale Immobilienverbände unabhängig von der Habeck’schen Verordnung durchgeführt haben. Darin habe sich gezeigt: „Es gibt einzelne Anlagen, bei denen die Betriebskosten nach dem hydraulischen Abgleich tatsächlich um die oft genannten 10 Prozent sinken. Es gibt aber auch genauso Fälle, in denen keine Einsparungen beobachtet wurden oder die Heizkosten danach sogar stiegen.“ Viehrig hält es für sinnvoller, den hydraulischen Abgleich nicht flächendeckend, sondern bei den Heizungsanlagen zu machen, die überdurchschnittlich hohe Betriebskosten aufweisen.
„Diese Verordnung hat die Preise ordentlich nach oben getrieben“
Auch Viehrig berichtet von mehreren Tausend Euro Kosten für ein Mehrfamilienhaus. „Teils geht das sogar in den fünfstelligen Bereich.“ Corinna Kodim, die beim Eigentümerverband Haus & Grund den Energiebereich verantwortet, berichtet von einer speziellen Art der Inflation: „Diese Verordnung hat die Preise ordentlich nach oben getrieben.“ Früher hätte der Abgleich für ein ganzes Mehrfamilienhaus 1000 bis 3000 Euro gekostet, jetzt würden solche Preise mitunter je Wohnung aufgerufen.
GdW-Mann Viehrig kritisiert den Umfang der Prüfung. Leider wolle der Gesetzgeber das komplizierteste Verfahren, die raumweise Heizlastberechnung. „Das müssen Ingenieure machen. Und deren Arbeitsstunden sind teuer. Der Abgleich wäre mit einem elektronischen, sich selbst regelnden Verfahren günstiger möglich.“ Hausverwalterin Sylvia Pruß hält einen gewöhnlichen Heizungscheck für zielführender. Dabei werde geprüft, ob die Rohre ausreichend gedämmt sind, die Vorlauftemperatur niedriger sein könnte, Sommer- und Winterzeit berücksichtigt sind. „Das kostet nur einen Bruchteil des hydraulischen Abgleichs und bringt gute Energieeinsparmöglichkeiten.“
Keine Bußgelder bei Nichteinhaltung
Die EnSimiMaV sieht für Eigentümer keine Bußgelder bei Nichteinhaltung der Vorschriften vor. So manche Eigentümergemeinschaft dürfte die Sache daher vermutlich aussitzen, bis die Verordnung am 1. Oktober außer Kraft tritt. Doch der hydraulische Abgleich verschwindet nicht, er steht auch im reformierten Gebäudeenergiegesetz (GEG). Und anders als in der Verordnung aus der Energiekrisenzeit sieht dieses Gesetz im Fall von Verstößen auch Bußgelder von bis zu 5000 Euro bei Verstößen vor.
Bereits geregelt ist im GEG, dass seit Anfang 2024 eingebaute Wärmepumpen in Gebäuden mit mindestens sechs Wohnungen nach einer vollständigen Heizperiode, spätestens aber zwei Jahre nach Inbetriebnahme einer Betriebsprüfung unterzogen werden müssen. Die neun Punkte, die darin enthalten s
ein müssen, listet das Gesetz im Einzelnen auf, unter anderem: „die Überprüfung, ob ein hydraulischer Abgleich durchgeführt wurde“. Alle fünf Jahre muss das Prozedere wiederholt werden. Ausgenommen sind – die allerdings wenig verbreiteten – Warmwasser- und Luft-Luft-Wärmepumpen.
Neu in das Gesetz hinein kommen am 1. Oktober – also dann, wenn die EnSimiMaV ausgelaufen ist – weitere Vorgaben für ältere Heizungsanlagen. Demnach müssen Eigentümer von Häusern mit mindestens sechs Wohnungen Heizungen, die Wasser als Wärmeträger nutzen und vor dem 1. Oktober 2009 eingebaut wurden, die Anlage bis zum 30. September 2027 optimieren lassen. Ist die Heizung jünger, muss die Optimierung nach Ablauf von 15 Jahren Betriebsdauer und dann innerhalb von einem Jahr erfolgen. Neu eingebaute Heizungen mit Warmwasser als Wärmeträger müssen künftig grundsätzlich hydraulisch abgeglichen werden, also nicht nur Wärmepumpen. Das Thema dürfte künftig häufig auf der Tagesordnung von Eigentümergemeinschaften stehen.
#Robert #Habecks #heating #rule #crux #hydraulic #balancing