Man kann Olaf Scholz nicht vorwerfen, dass er sich von der weit verbreiteten Aufgeregtheit im politischen Berlin in diesen Tagen allzu nervös machen lässt. Oder man wirft ihm genau das vor. Der Bundeskanzler steht jedenfalls an einem drückend warmen Mittwochabend in der Mitte einer Klammer aus Stühlen bei einem Bürgergespräch in Berlin. Etwa 130 Menschen, die sich beworben hatten, ausgelost worden sind, und den Kanzler nun fragen können, was sie wollen, sitzen um ihn herum.
Es ist die erste Gelegenheit für Scholz nach dem Wahlsonntag mal ausführlich über die politische Lage zu sprechen, jetzt, da die Forderungen nach einer schärferen Asylpolitik immer lauter werden, und zudem die Meldungen vom russischen Krieg in der Ukraine auch immer beunruhigender. Der Kanzler aber sagt, er schlafe gut. „Ich habe eine Natur, die es mir möglich macht, das was ich tue hinzukriegen“, sagt Scholz.
Gefragt wurde der Bundeskanzler da, ob er noch gut schlafen könne, obwohl Deutschland bei den Waffenlieferungen an die Ukraine stets dem hinterherhinke, was Kiew sich wünsche. Und was Scholz nach dem Verweis auf seine Natur sagt, ist dann ein typischer Scholz, der in der Hauptstadt nicht immer und überall auf Begeisterung stößt, um es vorsichtig zu formulieren. Kurzfassung: ich habe recht, es merkt nur nicht jeder. Langfassung bei dieser Frage: Deutschland ist der zweitgrößte Unterstützer der Ukraine, es sei ein Problem in der politischen Debatte, dass das manchen gar nicht auffalle, und ohnehin sei es manchen zu viel und anderen zu wenig, aber: „Ich lasse mich nicht bedrängen, ich bleibe bei dem besonnenen Kurs.“ Dafür gibt es sogar Applaus.
Scholz: „Wahlergebnis für die AfD bedrückt uns sehr“
Die Republik ist nervös, die politischen Debatten hitzig, die Vergleiche in den vergangenen Tagen nicht selten historisch: nach den Wahlergebnissen in Sachsen und Thüringen, nach dem Triumph von AfD und auch BSW, nach den Tiefschlägen für die Ampelkoalition, und nach den Asyl-Diskussionen nach dem Anschlag von Solingen, zeigt sich das auch in den Fragen der Bürger am Mittwochabend. Scholz aber bleibt ruhig und selbst wenn er sagt, das „Wahlergebnis für die AfD bedrückt uns sehr“, und dass es nicht gut sei, dass Populismus so viel Unterstützung bekomme, dann klingt er wie jemand der festgestellt hat, dass die Milch im Kühlschrank abgelaufen ist. Aber das ist vielleicht auch nur eine Frage der Natur.
Immerhin versucht der Bundeskanzler es auch ganz unaufgeregt bei all den Fragen zu Sorgen und Ängsten, ausführlich zu antworten, und wenn es nicht darum geht, was seine Regierung alles schon getan hat, wird er auch grundsätzlich. Er spricht beim Thema AfD und Populisten über drei Faktoren, die es zu beachten gilt, zum einen die Zeit der großen Umbrüche, die Unsicherheiten und an anderer Stelle spricht er auch darüber, wie wichtig es sei, dass man an eine gute Zukunft glauben könne.
Zum zweiten gehe es um die Migration, ein Thema, welches manche mit Hass und Ressentiments ausbeuteten, bei dem es aber auch um irreguläre Migration gehe, gegen die der Kanzler vorgehen will. Und drittens spiele die Ukraine-Unterstützung eine Rolle, die manchen zu viel sei, bei der er aber, der aufmerksame Leser wird es sich schon denken: bei seinem besonnenen Kurs bleiben wird.
Die Migrations- und Asylpolitik taucht immer wieder mal auf an diesem Abend, immer wieder mal aus anderen Richtungen und mit anderen Schwerpunkten gefragt. Als jemand Flüchtlinge aus der Ukraine und der Welt dafür verantwortlich macht, dass die Wohnungsnot so groß ist, widerspricht Scholz und bekommt dafür Applaus. Er erzählt auch, wie dringend Deutschland Zuwanderung brauche, auch für die Wirtschaft. Deutschland müsse sich aussuchen dürfen, wer kommt, sagt er. Und wer fliehen müsse, bekomme Schutz.
Dann erzählt er vom Kampf gegen die irreguläre Migration, bei der seine Regierung natürlich auch schon viel getan habe. Und mit Blick auf die Gespräche mit Ländern und Opposition, deren erste Runde am Dienstag stattgefunden hatte, sagt er: „Wenn es supergut läuft, schaffen wir es noch weitere Maßnahmen draufzusetzen, die wir mit der Opposition beschließen.“ Und: „An mir liegt es nicht“.
Ob er da schon wusste, dass der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz ihm beim Wahlkampf in Brandenburg ein Ultimatum gestellt hat, ist unwahrscheinlich. „Wenn die Bundesregierung nicht bereit ist, bis zum nächsten Dienstag uns eine verbindliche Erklärung zu geben, dass der unkontrollierte Zuzug an den Grenzen gestoppt wird und diejenigen, die immer noch kommen, an den Grenzen in Deutschland zurückgewiesen werden, dann machen weitere Gespräche mit der Bundesregierung keinen Sinn“, hatte Merz bei einer Wahlkampfveranstaltung in Brandenburg gesagt. Zur Zurückweisung an den Grenzen sagt Scholz nichts in Berlin.
So geht es langsam hinein in die drückende Hitze der Nacht, von Frage zu Frage. Vom Werbeverbot für ungesunde Lebensmittel für Kinder, über das Tempolimit bis hin zur Außendarstellung der Regierung, die manchmal anmute wie so ein kleiner Haufen Kinder (Scholz: „Sie haben Recht“). Am Ende wird der Kanzler gefragt, was mal in den Geschichtsbüchern über ihn und seine Amtszeit stehen soll. Er sagt: „Leute, die das vor und während ihrer Amtszeit schon wissen, sind Leute, vor denen man sich fürchten sollte.“ Und dann spricht er über Respekt und Augenhöhe, über Gerechtigkeit. „Ich mag es nicht, wenn manche Leute sich, wenn sie mit anderen reden, für etwas Besseres halten“, sagt er. Und: „Am Ende sind wir alle gleich.“ Applaus, Ende, Selfies, Abgang.
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