Noch kurz vor der Eröffnung werden eilig deutsche, europäische und namibische Flaggen in das Konferenzzentrum in Windhuk gebracht, während eine afrikanische Trommlergruppe die Besucher einstimmt. Mehr als 700 Delegierte aus aller Welt sind zum ersten Afrikanischen Wasserstoffgipfel erwartet worden, der am Mittwoch offiziell in der namibischen Hauptstadt eröffnet wurde. Grüner Wasserstoff ist das große Schlagwort in dem afrikanischen Land, seit europäische und asiatische Staaten nach Lösungen für klimafreundlichere Industrien suchen und der mittlerweile verstorbene namibische Präsident Hage Geingob den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft in seinem Land mit hohem Engagement vorangetrieben hatte.
Jetzt drücken insbesondere europäische und asiatische Staaten aufs Tempo. Vor der Konferenz kündigte die EU die Unterzeichnung mehrerer Programme an, um den Übergang zu sauberer Energie und die neue Industrie in dem Drei-Millionen-Einwohner-Staat im Süden Afrikas zu fördern. In den vergangenen Monaten ist jedoch viel Kritik gegen die Vorhaben laut geworden. Von einem „Hype“ sprechen viele Namibier, die sich im Unklaren darüber sind, ob und wie sie davon profitieren.
Grüner Wasserstoff, der mit dem Einsatz erneuerbarer Energien gewonnen wird, habe das Potential, ein „Game-Changer“ zu werden, sagte die EU-Energiekommissarin Kadri Simson auf der Konferenz. Die Entwicklung weise in die richtige Richtung. „Er ist eine große Chance, den Klimawandel zu bekämpfen und gleichzeitig Arbeitsplätze in Namibia zu schaffen.“ Der Parlamentarische Staatssekretär im deutschen Wirtschaftsministerium, Michael Kellner, kündigte an, die namibische Regierung über die bisherigen Pilotprojekte hinaus zu unterstützen. „Das Ziel ist letztlich, die fossilen Energiequellen mithilfe von Sonne und Wind zu besiegen.“ Auf der Konferenz wurde mehrfach betont, dass es nicht nur um den Export von grünem Wasserstoff gehe, sondern um den Aufbau einer weiterverarbeitenden Industrie in Namibia. Es sei eine Partnerschaft zum gegenseitigen Nutzen, sagte Kellner.
Produktion „extrem günstig“
In Namibia könne grüner Wasserstoff wegen optimaler Bedingungen für die Erzeugung von Solar- und Windenergie „extrem günstig“ produziert werden, sagte Rainer Baake, Sonderbeauftragter der Bundesregierung für die deutsch-namibische Klima- und Energiekooperation, der F.A.Z. vor der Konferenz. Im Moment müsse für das Etikett „grün“ mehr bezahlt werden als für den sogenannten grauen Wasserstoff, der aus Erdgas erzeugt werde. „Das wird sich in Europa aber sehr schnell ändern. Wir haben keine Alternative, als auf klimafreundliche Industrien umzustellen. Wenn wir diese wichtigen Wirtschaftszweige unserer Industrie halten wollen, macht es ökonomisch Sinn, diese Grundstoffe günstig zu importieren.“
Das gelte beispielsweise für die Ammoniak-Industrie, für andere Bereiche der chemischen Industrie und für die Autoindustrie. Europa, Japan und Südkorea könnten den Bedarf an grünem Wasserstoff allenfalls zur Hälfte aus eigener Produktion decken und müssten daher zusätzlich auf verschiedene internationale Lieferanten setzen.
Die größte Aufmerksamkeit erhält derzeit das Projekt des Hyphen-Konsortiums, das im Tsau/Khaeb-Nationalpark, dem sogenannten Diamanten-Sperrgebiet nahe Lüderitz, geplant ist. Gesamtinvestitionen in einer Höhe von 10 Milliarden Dollar über zwei Entwicklungsphasen sind vorgesehen, das entspricht fast der Wirtschaftsleistung des gesamten Landes. Hyphen, an dem der deutsche Erneuerbare-Energien-Anbieter Enertrag beteiligt ist, hat die Schaffung von 15.000 Arbeitsplätzen in der Bauphase und 3000 permanenten Arbeitsplätzen angekündigt.
Nach dem bisherigen Fahrplan soll im Januar kommenden Jahres mit dem Bau begonnen werden. Von 2029 an soll die Produktion von grünem Wasserstoff beginnen, der in Namibia zu Ammoniak weiterverarbeitet und exportiert werden soll. Abgesehen von riesigen Solar- und Windanlagen, einem Elektrolyseur, Pipelines und einer Ammoniakfabrik muss fast die gesamte Infrastruktur wie Straßen, ein neuer Tiefwasserhafen und eine Meerwasserentsalzungsanlage geschaffen werden.
Insgesamt sind derzeit etwa zehn Projekte von deutschen Unternehmen oder mit Unterstützung der Bundesregierung in Namibia geplant. Am weitesten fortgeschritten ist das HyIron/Oshivela-Projekt, das erste grüne Eisenwerk in Afrika, das einen Bundeszuschuss von 13 Millionen Euro erhalten hat. In wenigen Tagen soll die in Deutschland gebaute Maschine zur Reduktion des Eisenerzes per Schiff in Walvis Bay ankommen. Geplanter Produktionsstart ist Ende des Jahres.
Fachkräfte für neue Wirtschaftszweige fehlen
Um die Projekte zu realisieren, stehe auch die namibische Regierung in der Verantwortung, sich als stabiler Standort zu präsentieren, sagte Baake. „Das zentrale Problem aller Projekte sind die Finanzierung und die Kapitalkosten.“ Außerdem müssten die internationalen Kunden Abnahmeverträge schließen. „Im Moment wissen zwar alle, dass Europa in Zukunft nicht mehr klimaschädlich produzieren kann, aber da der graue Wasserstoff günstiger ist, warten viele noch ab.“
In Namibia indes sind die kritischen Stimmen nicht zu überhören. Ein Dachverband von Umweltorganisationen protestiert gegen den Standort des Hyphen-Projekts, einen Nationalpark mit einer außergewöhnlichen Pflanzenvielfalt, weil das Diamanten-Sperrgebiet bis heute nur mit Sondergenehmigungen zugänglich ist. Die deutsche Regierung würde ein solches Vorhaben in einem Nationalpark nie erlauben, sagt der Verbandschef Chris Brown. Könne der generierte Wasserstoff wirklich als „grün“ bezeichnet werden, wenn potentiell großer Schaden an der Biodiversität und den Nationalparks Namibias angerichtet werden könne? Das Projekt solle gestoppt werden, bis umfangreiche Umweltprüfungen vorlägen. Hyphen betont, es liefen große Anstrengungen, um die Auswirkungen auf die Umwelt so minimal wie möglich zu halten.
Aber auch einige Ökonomen sind skeptisch. Namibias Wirtschaft wachse kräftig, aber nur ein kleiner Teil der Bevölkerung profitiere davon, sagte Salomo Hei, Chefökonom des namibischen Analyseinstituts High Economic Intelligence (HEI), der F.AZ. Für technisch hoch entwickelte neue Wirtschaftszweige fehlten selbst für einfache Aufgaben die richtigen Fac
hkräfte. „Wir gehen hier weit über unsere Möglichkeiten hinaus.“
Für die Regierung sollte ein inklusives Wirtschaftswachstum im Vordergrund stehen, um die Armut und die hohe Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen. „Es geht darum, die Lebensbedingungen der Namibier jetzt zu verbessern und nicht erst in ferner Zukunft.“ In der Wirtschaftspolitik solle die Regierung eher Sektoren wie die Landwirtschaft, den Handel oder den Aufbau grundlegender Infrastruktur fördern, um leicht zugängliche Arbeitsplätze für die breite Bevölkerung zu schaffen. Mehr als die Hälfte der jungen Menschen hat keine Arbeit. Derzeit erlebt das weitläufige und trockene Land die schlimmste Dürre seit 100 Jahren. Die Regierung will demnächst Hunderte Wildtiere erlegen, um hungernden und unterernährten Menschen zu helfen.
Die staatliche Beteiligung an den Wasserstoffprojekten berge zudem Risiken, fügte der Ökonom hinzu. An dem Hyphen-Projekt beispielsweise soll der Staat mit 24 Prozent beteiligt werden, wobei Entwicklungsbanken vermutlich Kredite zu vergünstigten Zinsen bereitstellen. „Es wäre katastrophal, wenn sich Namibia hoch verschuldet und die Projekte am Ende nicht realisiert werden.“ Der Druck, die Wasserstoffwirtschaft voranzutreiben, komme derzeit vor allem aus Europa. „Namibia hat nie zuvor so viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Das ist eine Chance, aber wir müssen auf Nachhaltigkeit achten und dürfen nicht zu schnell voranpreschen.“
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