Sie sehen einen Mann. Er hat ein kahles Haupt, einen Vollbart und eine Statur, die vermuten lässt, da kaue jemand das Eisenerz direkt aus dem Gestein, um seinen Körper zu stählen. Er hat auch eine Axt, die öfter spricht als er. Der Mann heißt Kratos. Er ist eine Figur in einem Videospiel mit dem Titel „God of War“. Wenn Sie so wollen, eine Art Kriegsjesus, der aus Liebe zu den Sterblichen vom Gott zum Zimmermann wurde. Einer, der sich auch mal die Axt spart, um zu glühenden Klingen zu greifen, die mit schweren Ketten an seinen baumstammartigen Unterarmen befestigt sind. Kratos hat die Götter des Olymps bezwungen und auch die nordischen Götter – Odin, Thor und Heimdall – liegen vor ihm im Staub.
So – und wer ist nun angesichts dieses Überangebots an auf den ersten Blick eindimensionaler, aber doch leider weiterhin unerfreulich gültig codierter Männlichkeit so charakterfest, die niedrigste Schwierigkeitsstufe dieses Videospieles, „Give me Story“, zu wählen?
Das kann man den hart arbeitenden Übermenschen nicht antun
Wenn doch hier alles förmlich danach schreit, gleich jetzt und sofort mit einem abgebrochenen Stuhlbein (oder was gerade so als Hiebwaffe zur Hand ist, wenn der teure Gaming-Stuhl nicht nachgibt) und im zerrissenen T-Shirt unter Kriegsgeheul barfuß aus dem Haus zu toben, den (fußläufig gut erreichbaren) höchstgelegenen Punkt in der näheren Umgebung zu erklimmen und die Götter brüllend – die Faust gen Himmel gereckt – zu fragen, ob „das alles“ sei?
Ich sage, es Ihnen: niemand! Und wenn ich niemand schreibe, meine ich natürlich mich. Ich sehe diesen Kerl, Kratos, und denke: Das kann ich ihm, allen hart arbeitenden Übermenschen und vor allem meinem fragilen Selbstwertgefühl nicht antun und hier jetzt die „Storymode“ – für Spieler, die die Geschichte mit dem geringsten Fokus auf Kampf erleben wollen (Ja! Ja: das bin doch eigentlich ich!) – wählen.
Und das, obwohl es diese wählbaren Abstufungen Spielern wie mir in vielen Fällen überhaupt erst erlauben, in einem Spiel voranzukommen, ohne das jeweilige Spielmedium aus Frust in viele kleine handliche Teile zu zertrümmern. Aber natürlich sitzt der innere Kratos nun in Überlebensgröße auf meiner Schulter und starrt mitleidig auf mich herab, während ich von „Give me Grace“ (in der deutschen Übersetzung: Ich bitte um Gnade) über „Give me Balance“ (Ausgeglichenes Erlebnis) zu „Give me no Mercy“ schalte – kurz zucken Kratos’ Mundwinkel nach oben – und wieder zurück. Ich einige mich mit ihm auf die vermeintliche Mitte, stets bemüht um Ausgleich („Give me Balance“) und ärgere mich heimlich, vor einer blöden Videospielfigur eingeknickt zu sein.
Stress und eine Schultermuskulatur aus Granit
„God of War“ hatte lange den Ruf, eines der herausforderndsten Spiele (im Kreis der populären Actionspiele) zu sein, wenn es darum geht, sich ernsthaft mit Paraden und Kontern und dem dazugehörigen Zeitfenster (Knopfdruckreaktion im Millisekundenbereich) zu beschäftigen. Hier konnte und kann man nicht bestehen, indem man einfach nur wild alle zur Verfügung stehenden Knöpfchen durcheinander drückt und darauf vertraut, dass in der Hektik schon was dabei sein wird, das der Bezwingung des Gegners dienlich ist. Letzteres ist die digitale Variante des energischen Drehens des Tischfußballgriffs. Etwas, das plötzlich als verpönt galt, seit Menschen, die wirklich alles im Leben als Herausforderung betrachten (bis sie dann wirklich mal vor einer stehen), die stets „das Maximum“ aus allem herausholen wollen, begannen, mit Fingerhandschuhen an die Tische zu kommen und zu „fordern“.
Also plagt man sich niveautechnisch in Sachen Schweregrad auf Mittelmaß. Von wegen! Schon die ganz normalen, sogenannten Trashmobs, also die Plebejer der Videospielwelten, schicken mich so oft auf die Bretter, das ich an die Endgegner gar nicht erst denken mag – oder müsste, weil ich ohnehin nicht in die entsprechenden Levelabschnitte vordringe. Statt Spielfreude, Stress und eine Schultermuskulatur aus Granit.
Pokale, Medaillen, Orden, Extrawaffen oder sexy Outfits
In einschlägigen Foren wird Spielern, die ähnlich klagen, gern ein lapidares „Git gud“ („get good“) entgegengeschleudert: Streng dich halt an! Doch mal abgesehen von der ab einem gewissen Altersfenster drängender werdenden Frage: Warum denn? Lange unterschied man Spiel und Ernst. Natürlich haben „Mensch ärgere Dich“, Skat, Monopoly oder Schach längst vor Videospielen bewiesen, dass beides eng miteinander verflochten sein kann. Die Art und Weise aber, wie Videospiele dieser Tage ihre eigene Schwierigkeit und (manche) Videospieler ihren unbedingten Willen zum Triumph inszenieren und ausstellen, kann dem Spiel mitunter den Spaß austreiben. Während man als Durchschnittsdaddler noch mitten im Spiel steckt, ruft immer schon irgend so ein Igel: „Ick bün all hier“ – und postet einen Screenshot von seiner Platin-Plakette (100 Prozent des Spielfortschritts erreicht), deren Erwerb meist (nicht immer) mit dem Bestehen des Spiels auf höchster Schwierigkeitsstufe einhergeht.
Spiele werden heute immer weniger gespielt als vielmehr bezwungen oder bestanden – wie ein Test. Warum aber fühlen sich Menschen, die die Herausforderung gar nicht suchen, dennoch so herausgefordert? Das Argument, niemand werde gezwungen, man möge sich dem halt einfach nicht aussetzen, ist leichter ausgesprochen als nachvollzogen. Viele Spiele werden so konstruiert, dass sie Ehrgeiz und Zeitinvestment durch das Verteilen digitaler Fleißbienchen – Pokale, Medaillen, Orden, Extrawaffen oder sexy Outfits – befeuern. Manch ein Spieler hetzt von einem Spiel zum anderen und sammelt Erfolgszertifikate, die mit jeder neuen Erweiterung oder jedem neuen Spiel auf eine gewisse Art entwert
et werden. So wird, was als einigermaßen harmlose Unterhaltung begann, zum Durchlauferhitzer fürs Ego. Aber wird man einst sagen: Ich habe zwar in den letzten 20 Jahren wenig Sonne gesehen, aber dafür habe ich „God of War“ (et al.) auf der höchsten Schwierigkeitsstufe bezwungen – seht her, mein Platin-Pokal hier in diesem traurigen Playstation-Menü des Abgehaktseins. Fraglich.
Ein Beicht-Thread auf Reddit kündet von der kathartischen Relevanz der Aufkündigung dieses fragwürdigen Ehrgeizes: „Ab jetzt spiele ich all meine Videospiele auf der einfachsten Schwierigkeitsstufe“ ist er überschrieben. „Warum soll ich mich als erwachsener Mann ständig aufregen“ und „stressen“, fragt der Initiator. Wenn er doch eigentlich nur Spiel und Erzählung erkunden, also „ausspannen“ möchte. Früher, schreibt er, sei er beleidigt gewesen, wenn ihn ein Spiel ob seiner zahlreichen kleinen Tode gefragt hätte, ob er es nicht mit einer leichteren Schwierigkeitsstufe versuchen möchte. Heute sage er: „Yup, herzlich gern!“ Trotzdem fragt er am Ende zaghaft: „Das ist in Ordnung . . . oder?“
Selbstverständlich! Vielleicht aber ist doch nur alles eine langweilige Frage des Alters. Viele geben sich als Mittvierziger zu erkennen. In dieser Lebensphase spart das Leben selten an ernsthaften Herausforderungen. Ein Nutzer schreibt trotzig: „Ich werde niemals aufhören, auf hart zu spielen, egal wie alt ich werde.“ Einer antwortet: „Vielleicht wirst Du einst merken, dass selbst die härteste Schwierigkeitsstufe keine wirklichen Belohnungen bietet. Oder hey, vielleicht bemerkst Du es nicht. Spiel, wie Du magst. Niemand wird Dich verurteilen.“
Bitte was?! Niemand? Sie wissen ja, wenn ich niemand schreibe, meine ich natürlich mich. Es ist Zeit, dem inneren Kratos fest in die Augen zu sehen und ihm deutlich zu sagen: Nicht. Mit. Mir! Zur Hölle mit „Git gud“! Nimm’s leicht, dann nimmt es dich nicht mit.
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