Der Umgang mit den mutmaßlich ausländischen Drohnen über der kritischen Infrastruktur in Brunsbüttel zeigt, wie schlecht die Behörden bei dem Thema aufgestellt sind. Das ist die einhellige Meinung mehrerer Gesprächspartner aus Sicherheitskreisen. „Wir können die weder identifizieren noch herunterholen“, sagt einer. „Dass wir keine Möglichkeit zur Nachverfolgung haben, ist besorgniserregend“, ein anderer.
Am 8. August wurden über dem Industriegebiet von Brunsbüttel erstmals jene Drohnen gesichtet, die bald bundesweit für Aufmerksamkeit sorgten. Anfangs gingen die Behörden von Industriespionage aus. Aber dann zeigte sich, dass die Geräte deutlich schneller waren als gewöhnliche Drohnen, dass sie merkwürdige Flugmuster zeigten und gezielt kritische Infrastruktur wie das LNG-Terminal, das abgeschaltete Atomkraftwerk, aber auch Schleusen und den für die Region zentralen Nordostseekanal überflogen.
Genauer gesagt, überfliegen die Drohnen Brunsbüttel weiterhin. Immer noch, auch rund einen Monat nach der ersten Sichtung. In den vergangenen zwei Wochen habe es in Brunsbüttel aber eine „geringere Intensität der Drohnenüberflüge“ gegeben als noch zu Beginn des polizeilichen Einsatzes, sagte am Mittwoch die Innenstaatssekretärin Magdalena Finke im Innen- und Rechtsausschusses des Landtags von Schleswig-Holstein. Der Polizeieinsatz laufe weiter.
Geführt werden die Ermittlungen von der Staatsschutzabteilung des Landeskriminalamts unter der Leitung der zuständigen Staatsanwaltschaft Flensburg. Die geht dem Verdacht der strafbaren Agententätigkeit zu Sabotagezwecken nach. Möglicherweise, so wurde in den Medien spekuliert, handele es sich um russische Militärdrohnen. Ob das zutrifft, ist weiterhin unklar. Die Beschreibung der Luftobjekte rechtfertige den Verdacht, dass es sich nicht um private Drohnen handele, sagte Oberstaatsanwältin Stephanie Gropp im Innenausschuss.
Verdächtige Sichtungen auch im niedersächsischen Stade
Sie nannte „Anhaltspunkte“ dafür, dass die Drohnen möglicherweise aus dem militärischen Bereich kommen. Etwa die Häufigkeit und Dauer ihres Auftretens sowie das Flugverhalten. Ob es weitere Hinweise auf eine Tätigkeit eines ausländischen Staats gibt, dazu wird öffentlich nichts gesagt. Inoffiziell heißt es, viel mehr liege nicht vor. Doch genau darin liege das Problem. „Wir sind nicht in der Lage zu identifizieren, um was es sich handelt.“
Zur Verwirrung kommt hinzu, dass es viele Falschmeldungen gab. So gab es laut Staatssekretärin Finke eine „Vielzahl verdächtiger Wahrnehmungen“ in Brunsbüttel. Das waren aber Flugzeuge, Hubschrauber, Satelliten oder gar Himmelskörper. Zudem seien in einigen Fällen im Handel frei erhältliche Drohnen identifiziert und deren Piloten sichergestellt worden, so Finke. Festgestellt worden seien aber eben auch Fälle von Drohnen möglicherweise unbekannter Bauart. Ähnliche Sichtungen habe es zeitgleich auch in Niedersachsen gegeben.
Das Innenministerium Niedersachsens teilte mit, dass auch in Stade – rund 40 Kilometer entfernt von Brunsbüttel und ebenfalls Industriestandort – „verdächtige Feststellungen mit auffälligen Lichtern am Himmel“ bemerkt worden seien, die von Flugobjekten stammen könnten. Ermittlungsverfahren seien eingeleitet.
Landespolizeien versuchten Drohne per Auto zu verfolgen
In Brunsbüttel sollen die Landespolizeien anfangs per Auto versucht haben, die Drohnen zu verfolgen. Aus Sicherheitskreisen heißt es dazu, das zeige, wie schlecht man bei der Abwehr aufgestellt sei. Kiel fragte nach den ersten Sichtungen Hilfe beim Bund und bei anderen Ländern an. Manche halfen rasch, andere nicht. Die Bundeswehr unterstützt etwa mittels Radarauswertungen des Nationalen Lage- und Führungszentrums Sicherheit im Luftraum mit Sitz in Uedem.
Für Unmut sorgt, dass offenbar über Wochen kaum Unterstützung aus Berlin kam. Zudem wurde mit Erstaunen festgestellt, dass es keine Automatismen bei derlei Vorfällen gibt. Deutschland habe in dem Bereich noch viel zu lernen, heißt es wiederholt. „Die Bedrohung ist ja nicht neu, doch die Sicherheitsbehörden haben nicht die notwendige Ausstattung.“
Zwar hat Schleswig-Holstein so wie andere Bundesländer Gerät zur Detektion und Abwehr von Drohnen angeschafft. Dem Vernehmen nach liegt es seit Kurzem vor. Um was genau es sich handelt, ist unklar. Doch viel soll es nicht sein. Offenbar lassen sich damit Hobbydrohnen identifizieren, eventuell auch vom Himmel holen, nicht aber militärische Drohnen. Nun sollen die Kapazitäten der Länder verknüpft werden. Finke sagte dazu, vor dem Hintergrund der sich rasch fortentwickelnden Technik und der hybriden Bedrohungen müsse eine „gemeinsame länderübergreifende Einheit“ geschaffen werden.
Die Landespolizeien seien bei der Drohnenabwehr zu schlecht ausgerüstet, sagt auch Ralf Heynicke. Er ist Laborleiter an der Professur für Elektrische Messtechnik an der Universität der Bundeswehr Hamburg und Leiter von Drohnenprojekten. Nach allem, was bekannt sei, besitze die Polizei Störsender, die gegen Drohnen eingesetzt werden. Zudem verfügten die Behörden über ein System, das verdächtige Drohnen übernehmen kann, sagt Heynicke. Das funktioniere aber nur, wenn die Technik und der Kommunikationsstandard des Fluggeräts bekannt seien.
„Die Abwehrmöglichkeiten sind in Deutschland stark begrenzt“
In der Theorie können verdächtige Drohnen zwar direkt abgeschossen werden – allerdings besteht hier das Risiko, dass unbeteiligte Personen zu Schaden kommen. Das gilt auch für das Industriegebiet in Brunsbüttel. Mögliche Schäden durch eine abstürzende Drohne seien „zum derzeitigen Zeitpunkt nicht verantwortbar“, sagte Staatssekretärin Finke dazu im Innenausschuss.
Weiterhin gibt es die Option, Fluggeräte durch elektronische Gegenmaßnahmen vom Himmel zu holen. Beim Jamming wird versucht, das Funksignal zwischen Drohnenpilot und Drohne zu unterbrechen. Beim
Spoofing werden der Drohne falsche GPS-Koordinaten vorgegaukelt, wodurch die Flugroute umgeleitet werden kann. Allerdings braucht es für die Störung von Funksignalen eine Sondergenehmigung der Bundesnetzagentur, weil die Maßnahmen sich etwa auch auf den Mobilfunk und GPS-Signale auswirken können.
„Störsender dürfen nur in Ausnahmefällen und unter bestimmten Bedingungen verwendet werden“, sagt Manuel Pinten. Er ist Betriebsleiter von Aaronia, einem deutschen Hersteller von Drohnenabwehrsystemen. „Aktive Gegenmaßnahmen können im schlimmsten Fall auch Kollateralschäden verursachen, insbesondere wenn sie andere Funkdienste beeinträchtigen.“ Es gebe viele Optionen, um eine Drohne vom Himmel zu holen, „aber die realen Einsatzmöglichkeiten in Deutschland sind stark begrenzt“. Der Gesetzgeber müsse abwägen, was im Zweifel schlimmer sei: „Eine mit Sprengstoff bestückte Drohne über kritischer Infrastruktur oder der Mobilfunk, der für eine Minute ausfällt?“ In einigen EU-Ländern gebe es bereits Anstrengungen, die Drohnenabwehr rechtlich zu erleichtern.
„Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass die einzige sichere Möglichkeit zur Drohnenabwehr eine eigene Abfangdrohne ist“, sagt Ralf Heynicke von der Universität der Bundeswehr. Das wäre auch in Brunsbüttel die richtige Methode. Heynicke und andere Forscher entwickelten über das Projekt „FALKE“ eine automatisierte Abfangdrohne, die ein Netz abschießt, um eine Drohne einzufangen und sie kontrolliert zum Boden zu bringen. Das System sei effizient, sagt Heynicke. Es könne auch mit schnelleren militärischen Drohnen mithalten. Die Polizei verfüge zwar über ein ähnliches System, aber dieses sei vermutlich nicht gegen Drohnenüberflüge wie in Brunsbüttel gewappnet und zudem noch nie eingesetzt worden.
Ein weiteres Problem bei der Drohnenabwehr sei die Zuständigkeit, sagt Fachmann Pinten. „Die wird im schlimmsten Fall zwischen den Behörden hin- und hergeschoben.“ Aus Kiel heißt es dazu, für einen Vorfall wie in Brunsbüttel, bei dem es um Außenverteidigung gehe, sei man eigentlich gar nicht zuständig. Das seien Bundesbehörden, zuvorderst die Bundeswehr.
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