Es ist ein filmreifes Drama, das sich jetzt im Volkswagen -Konzern abspielt. Insofern hatte die Kulisse eine gewisse Symbolkraft. Im großen Kinosaal des „Astor Grand Cinema“, mitten im Zentrum der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover, hatten sich diese Woche mehrere Hundert Funktionäre der Gewerkschaft IG Metall versammelt. Das Treffen war lange geplant. Es sollte den Auftakt für die bevorstehenden Verhandlungen um einen neuen Tarifvertrag in der Metall- und Elektroindustrie markieren. Doch die Krise im VW-Konzern, die wenige Tage davor ausgebrochen war, gab der Konferenz ungeahnte Dramatik.
Auf einer flachen Bühne vor der Leinwand, eingerahmt von den Kinovorhängen, trat VW-Betriebsratschefin Daniela Cavallo auf. In freier Rede beteuerte sie, dass sie „bis zum Letzten“ kämpfen werde, um Werksschließungen und Entlassungen in Deutschlands größtem Automobilkonzern zu verhindern. An manchen Stellen schlug die mächtige Arbeitnehmervertreterin persönliche Töne an. Der Tag, an dem der VW-Vorstand seine drastischen Sparpläne bekanntgemacht hatte, sei der „schwärzeste Tag“ gewesen, seitdem sie im Amt sei. Nie hätte sie sich träumen lassen, „dass dieser Schritt wirklich gemacht wird“, sagte Cavallo – und rief unter dem Applaus der Gewerkschafter zum Widerstand auf.
Drinnen las sie dem Vorstand die Leviten
Mit Hollywood und dem Filmgeschäft hat all das natürlich nichts zu tun, im Gegenteil. Die Lage ist ernst, auch für Cavallo, die seit gut drei Jahren an der Spitze des Gesamt- und Konzernbetriebsrats von VW steht. Eigentlich drängt es sie nicht an die Öffentlichkeit. Aber die Arbeitnehmervertreterin weiß, wie wichtig es ist, die Belegschaft zu mobilisieren. Mehrfach trat sie in den vergangenen Tagen vor die Kameras und Mikrofone der TV- und Radiosender, die sich vor den Toren des Wolfsburger Stammwerks versammelt hatten.
Drinnen las sie dem Vorstand auf einer Betriebsversammlung in Halle 11 vor Zehntausenden Mitarbeitern die Leviten, sprach von einem „Armutszeugnis“ und einer „Bankrotterklärung“ . Sie warnte vor einem „Ausverkauf des Standortes Deutschland“. Den habe man schon bei vielen Automobilzulieferern gesehen, die in den vergangenen Monaten und Jahren Stellen abgebaut hätten. Jetzt droht er aus Sicht Cavallos auch im VW-Konzern.
Rund 120.000 Menschen arbeiten in Deutschland allein für die Wolfsburger Stammmarke VW, die Autos wie den Golf, den Passat oder den elektrischen ID.3 herstellt. Rund um die Welt beschäftigt der VW-Konzern mit seinem Dutzend Marken etwa 663.000 Mitarbeiter. Schon lange hatte das Management gewarnt, dass der Konzern in Europa zu teuer produziert. Doch passiert war wenig. Jetzt verschärft die sinkende Nachfrage die Probleme, vor allem die Misere der Elektroautos schlägt auf Standorte wie Zwickau, Emden oder Hannover durch. Das Management um Vorstandschef Oliver Blume droht mit Werksschließungen und kündigt eine Beschäftigungsgarantie. Im Raum stehen betriebsbedingte Kündigungen im großen Stil.
Cavallo, 49 Jahre alt, ist eine Tochter italienischer Einwanderer und spiegelt damit einen Teil der Geschichte des Konzerns wider. Zusammen mit vielen anderen Italienern waren ihre Eltern in den Sechziger Jahren nach Wolfsburg gekommen, als VW viele Arbeiter für die gut laufende Produktion des Käfers brauchte. Ihr Vater stand an der Montagelinie, sie selbst machte eine Ausbildung bei VW und engagiert sich seit mehr als zwanzig Jahren im Betriebsrat. Ihr Vorgänger an dessen Spitze, Bernd Osterloh, hatte Cavallos Potential früh erkannt und ihren Aufstieg befördert. Sie war als Nachfolgerin gesetzt, als Osterloh 2021 abtrat.
Jetzt sieht sich Cavallo mit einem Konflikt konfrontiert, den es in dieser Form noch nie gegeben hat. In den Neunziger Jahren wurde der Abbau Zehntausender Stellen durch eine Viertagewoche und teilweisen Lohnverzicht abgewendet. Auch in den Jahrzehnten danach suchten VW-Granden wie Ferdinand Piëch oder Martin Winterkorn stets den Schulterschluss mit der Gewerkschaft, auch im Wissen, dass gegen die mächtigen Arbeitnehmervertreter in Wolfsburg kein Staat zu machen ist. Mehr als 90 Prozent der VW-Beschäftigten sind Mitglied der IG Metall, nirgendwo hat sie so viel Einfluss wie im VW-Konzern. Ein eigenes VW-Gesetz gewährt dem Betriebsrat zudem Sonderrechte, wenn es um Eingriffe ins Produktionsnetz geht.
Sie fordert einen „Masterplan Zukunftsfähigkeit“
Dass der Vorstand als Reaktion auf die Auslastungsprobleme nun trotzdem zum Angriff übergeht, löst in der IG Metall Solidaritätsbekundungen aus. Christiane Benner, Erste Vorsitzende der Gewerkschaft in der Frankfurter Zentrale, sagte in dieser Woche, Cavallo werde durch die Unterstützung der VW-Belegschaft „breit getragen“. Sie selbst, Benner, sei mit ihr im engen Austausch. Man berate sich und schreibe jeden Tag über den Nachrichtendienst Whatsapp, fügte sie hinzu. Der ohnehin kurze Draht zwischen den beiden Funktionärinnen wird bald noch enger werden. Denn Benner, 56, soll zum Jahreswechsel in den Aufsichtsrat des VW-Konzerns einziehen. Sie übernimmt dort den Posten als Kontrolleurin von ihrem Vorgänger, dem langjährigen IG-Metall-Vorsitzenden Jörg Hofmann.
Auch mit VW-Chef Oliver Blume, 56, sei der Gesprächsfaden nicht gerissen, beteuern alle, die mit ihm und Cavallo zu tun haben. Blume hatte nach seinem Antritt als Konzernchef vor zwei Jahren versucht, die Probleme im Bündnis mit der Gewerkschaft zu lösen. Sparprogramme im Umfang von zig Milliarden Euro wurden aufgelegt. Doch all das reicht nun aus Sicht des Top-Managements nicht mehr, um die Kosten zu senken. In Wolfsburg argwöhnen viele, wie denn eine Lösung aussehen soll, nachdem Cavallo überall rote Linien gezogen habe.
„Nie im Leben“ werde man hinnehmen, dass hierzulande Werke geschlossen, Menschen entlassen und Tarifeinschnitte vollzogen würden, hatte sie auf der Betriebsversammlung in Wolfsburg bekräftigt. „Wenn sie sich da mal nicht zu weit aus dem Fenster lehnt“, sagt einer, der seit vielen Jahren im Unternehmen arbeitet. Die Krise sei anders als in den Jahren davor. An Rekorde vor der Corona-Pandemie werde der Markt nicht mehr anknüpfen, an Einschnitten führe nichts vorbei.
Cavallo sagt, sie teile die Einschätzung, dass VW vor großen Problemen stehe. Schuld habe aber nicht die Belegschaft,
sondern das Management. Das habe falsche Produktentscheidungen getroffen, viele Abstimmungs- und Entscheidungswege im Konzern und den Marken seien „ein einziges Chaos“.
Um besser zu werden, fordert sie einen „Masterplan Zukunftsfähigkeit“, der bis 2035 reichen und den Weg aus der Krise skizzieren soll. Gleichzeitig hält die IG Metall unbeirrt an ihren Forderungen für die Tarifverhandlungen fest. 7 Prozent mehr Lohn, sowohl in der Fläche als auch im Haustarif für VW-Beschäftigte: Das sei nötig, um höhere Verbraucherpreise auszugleichen, so die Gewerkschaft. Der Start der Gespräche steht kurz bevor.
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