Es sollte eine humanitäre Geste sein – aber auch die Probe, ob man Asylverfahren anders organisieren kann: das Bundesaufnahmeprogramm für besonders gefährdete Afghanen. Der Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan nach der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 war chaotisch verlaufen, da wollte die Bundesregierung zumindest ein geordnetes Ausreiseverfahren für diejenigen schaffen, die unter den neuen Herrschern Schlimmes zu befürchtet hatten.
Im Oktober 2022 starteten das Auswärtige Amt und das Bundesinnenministerium das Programm für Afghanen, die etwa wegen ihres Einsatzes für Frauen- und Menschenrechte mit Verfolgung rechnen müssen, wegen ihrer früheren Tätigkeit in der Justiz, in Bildungseinrichtungen oder in der Politik. Auch Personen, die wegen ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung bedroht werden, sollte so geholfen werden.
Doch nach jetzigem Stand ist das Programm für nahezu alle Beteiligten eine Enttäuschung. Für die nach F.A.Z.-Informationen etwa 3500 Menschen, die im Nachbarland Pakistan betreut werden und noch immer in Unsicherheit leben, ob sie nach Deutschland weiterreisen dürfen. Und es ist eine Enttäuschung für die beteiligten Ministerien. Statt wie angekündigt monatlich 1000 Personen sind bis heute nur insgesamt 533 eingereist.
Die Hoffnungen haben sich nicht erfüllt
Auch die Hoffnungen, ein innovatives Instrument zur Asylbeantragung von politisch Verfolgten zu entwickeln, haben sich nicht erfüllt. Zusätzlich wurde das Programm im Zuge der schwierigen Haushaltsverhandlungen zerrieben. Das Bundesinnenministerium, das den größeren Anteil an dem Programm trägt, hat für das nächste Jahr keine Haushaltsmittel mehr eingeplant, wie aus Regierungskreisen zu erfahren ist. Das Auswärtige Amt ist darüber ziemlich verstimmt.
Außenministerin Annalena Baerbock ist gegen ein vorzeitiges Ende des Programms. Es ging auf ihre Initiative zurück. Nach dem Desaster des überhasteten Abzugs fand sich im wenige Monate später verhandelten Koalitionsvertrag der Satz: „Wir werden ein humanitäres Aufnahmeprogramm des Bundes in Anlehnung an die bisher im Zuge des Syrien-Krieges durchgeführten Programme verstetigen und diese jetzt für Afghanistan nutzen.“ Frisch im Amt sprach Baerbock davon, dass jeder Tag zähle. Sie sagte später, man werde nicht lockerlassen.
Als in Berlin dann in den vergangenen Tagen die Runde machte, dass für das Programm kein Geld mehr eingestellt worden ist im Haushalt des Innenministeriums, war die Verwunderung im Auswärtigen Amt groß. Es hatte offensichtlich vorher keine Signale dazu gegeben. Dabei arbeiten die Ministerien eng zusammen für das Programm. In einem vom Innenministerium geleiteten Koordinierungsgremium, in dem in Berlin darüber entschieden wird, welche Fälle überhaupt infrage kommen, sitzen auch Beamte aus dem Auswärtigen Amt.
Auswärtiges Amt verweist auf den Koalitionsvertrag
Verwiesen wurde mit Blick auf das drohende Ende des Programms aus dem Auswärtigen Amt sogleich auf den Koalitionsvertrag und dass dieser bis zum Ende der Legislatur gelte, also aller Voraussicht nach bis zum Herbst 2025. Bis dahin solle das Programm weiterlaufen, äußerte ein Sprecher des Ministeriums am Mittwoch. Es gebe keine Entscheidung, es vorzeitig zu beenden. Bis zur Staatssekretärsebene wird nach Auswegen gesucht – am Montag soll es eine Runde gegeben haben, an der auch der Staatssekretär aus dem Bundesentwicklungsministerium teilnahm. Eine Lösung ist offenbar aber noch nicht gefunden.
In dem – im Gegensatz zum Bundesinnenministerium deutlich gekürzten – Haushalt des Auswärtigen Amtes seien aber Haushaltsmittel zur Erfüllung der Verpflichtungen des Amtes aus dem Bundesaufnahmeprogramm eingestellt, heißt es aus dem Ministerium. Das Innenministerium will sich nicht nachsagen lassen, dass es sich um Nöte der Afghanen nicht kümmere. Gleichwohl hat man sich dazu entschlossen, noch stärker Prioritäten zu setzen und mehr Geld in die innere Sicherheit zu stecken.
Wohl nur so ist es Innenministerin Nancy Faeser gelungen, nicht sparen zu müssen, sondern nächstes Jahr 400 Millionen Euro mehr ausgeben zu können als im laufenden. Von einer Einstellung des Bundesaufnahmeprogramms will das Innenministerium deswegen auch nicht sprechen. Es sei bislang aber kein Geld für neue Anträge vorgesehen. Diejenigen, die es schon nach Pakistan geschafft haben, sollen ihre Einreisezusage nicht verlieren, heißt es in Regierungskreisen.
„Wäre ein erheblicher Fehler, keine neuen Fälle mehr aufzunehmen“
„Es wäre ein erheblicher Fehler, keine neuen Fälle mehr aufzunehmen“, sagt der SPD-Politiker Helge Lindh. Es gehe um die Zuverlässigkeit deutscher Versprechen an tatsächlich Schutzbedürftige. Außerdem werde mit dem Programm ein Instrument genutzt, das selbst die Union im Grundsatz lobe: Es wird die Aufnahme eines Kontingents an Schutzsuchenden versprochen, die nicht erst illegal nach Deutschland einreisen müssen, sondern ihren Antrag noch im Ausland stellen.
Doch das Aufnahmeprogramm war schon holprig gestartet. Es sollte das Programm für Ortskräfte ergänzen. Deutschland hat bis heute 34.100 gefährdete Afghanen aufgenommen, die meisten von ihnen nutzten das Ortskräfteverfahren. Denn über das andere Programm waren nach einem Jahr lediglich 13 Personen eingereist, inzwischen sind es 533 Personen, 2800 haben eine Zusage. In die Vorauswahl waren nach F.A.Z.-Informationen 19.000 Personen gekommen – über wie viele Fälle noch entschieden werden muss, ist unklar.
Dabei war das Verfahren innovativ, aber auch kompliziert und störungsanfällig. Bewerben kann man sich nur in Afghanistan. Die Bundesregierung hatte mehrere „meldeberechtigte Stellen“ ausgesucht, bei denen man sich bewerben konnte, es folgte die Vorauswahl. Wer in das Programm nach einem Punktesystem aufgenommen wird, kann in Islamabad die Einreisepapiere nach Deutschland bekommen. Ob die Einreise erlaubt wird, entscheidet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.
Zwischenzeitlich musste das Programm ausgesetzt werden, es hatte Berichte gegeben, dass auch Scharia-Richtern die Einreise gestattet worden war. Nachdem ein zusätzliches Sicherheitsgespräch eingeführt worden war, lief das Programm wieder an. Dadurch wurden die Verfahren aber aufwendiger und dauern länger.
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