Cem Özdemir hat mit seinem Artikel „Sprache, Arbeit und Gesetzestreue“ in der F.A.Z. eine Debatte angetippt, die es eigentlich schon seit Langem gibt, die überfällig ist, um die sich aber vor allem seine eigene Partei, die Grünen, drückt, und die linke Realitätsverweigerer am liebsten ganz unterdrücken und als „rassistisch“ brandmarken würden.
Özdemir formuliert, was es in unserem Land braucht, damit Integration glückt; was Politik und Gesellschaft leisten müssen, aber eben auch diejenigen, die zuwandern. Als Beispiel für asoziales Verhalten Hinzugekommener rief der Ernährungsminister die Erfahrungen seiner Tochter auf. „Wenn sie in der Stadt unterwegs ist, kommt es häufiger vor, dass sie oder ihre Freundinnen von Männern mit Migrationshintergrund unangenehm begafft oder sexualisiert werden.“
Dass es sich dabei nicht um Einzelfälle handelt und Özdemir nicht eine Einzelerfahrung aufruft, hat in der F.A.Z. Ninve Ermagan mit ihrem Artikel „Sie stellen mir nach und verfolgen mich“ dargelegt. Mit einem in dem Portal achgut.com dokumentierten offenen Brief schließlich hat Michael Kyrath die Dringlichkeit unterstrichen, gegen die Gewalt, die junge Männer aus patriarchal geprägten Gesellschaften gegen Frauen ausüben, vorzugehen. Seine siebzehnjährige Tochter Ann-Marie und ihr 19 Jahre alter Freund Danny waren am 25. Januar 2023 in einem Regionalzug bei Brokstedt von dem abgewiesenen, mehrfach vorbestraften, staatenlosen Palästinenser Ibrahim A. ermordet worden; er hatte 38-mal auf die beiden eingestochen.
Was die Linkskritiker überlesen haben
Am Mittwochabend nun war Cem Özdemir bei Sandra Maischberger zu Gast und hatte Gelegenheit, der Kritik entgegenzutreten, die in unwürdiger, überdreht-polemischer Form die linke Netzblase flutet und unter anderem darauf lautet, er habe seine Tochter instrumentalisiert. Selbstverständlich habe er sie, sagte Özdemir auf Nachfrage von Sandra Maischberger, gefragt, ob er dies in seinem Artikel in der F.A.Z. erwähnen dürfe. Sie habe zugestimmt.
Und schließlich habe er – was seine Linkskritiker offenbar überlesen haben – auch eine weitere bedrückende Begebenheit geschildert, die etwas über das gesellschaftliche Klima aussagt, das in unserem Land herrscht: „Vor einigen Jahren verbrachte meine Tochter mit einer Freundin ein paar Tage auf einem Campingplatz in Mecklenburg an der Ostsee. Ihre gleichaltrige Freundin hat einen aus Tansania stammenden Vater; man sieht ihrer Hautfarbe an, dass sie nicht von rotblonden Wikingern abstammt. Es wurde nur ein kurzer Urlaub. Nach 24 Stunden ergriff das Berliner Ensemble die Flucht, weil auf böse Blicke Schmähungen, Beleidigungen folgten; rassistische Flüche, die ich hier nicht wiederholen will. Es waren vor allem Jugendliche, auch Kinder, die ihr im Pulk so zusetzten. An die Ostsee will meine Tochter so schnell nicht wieder fahren.“
„Über jede Form von Menschenfeindlichkeit empören“
„Wir müssen uns über jede Form von Menschenfeindlichkeit empören“, sagte Özdemir nun. „Wenn jemand mit roten Haaren an der Ostsee Urlaub machen will, darf sie oder er das machen. Wenn eine Frau mit Minirock in Neukölln rumlaufen möchte und jemand mit der Kippa im Wedding, darf er das auch. Das muss der neue Konsens in Deutschland sein.“
Das musste er schon immer sein, mochte man an dieser Stelle hinzufügen. Die Kritik allerdings, dass er erst jetzt auf das Thema Zuwanderung komme, da es strategisch mögliche schwarz-grüne Bündnisse vorzubereiten gelte, muss sich Özdemir nicht anhören (auch nicht von der ARD-Korrespondentin Iris Sayram in dieser Sendung): 2015 hat er, wie er bei Maischberger in Erinnerung rief, ein Papier zu den islamischen Dachverbänden verfasst; im Jahr darauf hat er in der F.A.S. (29. August 2016) mit Ahmad Mansour unter dem Titel „Integration. Was wir von Einwanderern verlangen wollen“ zu dem Thema geschrieben; 2017 hat er eine Grundsatzrede zur Migrationspolitik gehalten. Als in der Berliner Politik noch Angela Merkels „Wir schaffen das“ als Parole galt, war Özdemir weiter.
Darin unterscheidet er sich, durfte man sich am Mittwochabend bei Maischberger denken, auch sehr deutlich von Bundeskanzler Olaf Scholz und vom Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier. In ihren hohlen Reden am Jahrestag des Massakers der Hamas vom 7. Oktober hoben sie hervor, es dürfe für Antisemitismus in unserem Land keinen Platz geben – und jüdische Bürger dürften sich nicht unsicher fühlen. Hier brachte der Studiogast Günther Jauch die Sache auf den Punkt: „Aber all das passiert ja!“
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