Ein Jahr vor der Bundestagswahl hat die Kanzlerpartei SPD keinen Generalsekretär mehr. Kevin Kühnert, der verantwortlich ist für die Kampagne des Kanzlerkandidaten, ist am Montag von seinem Amt zurückgetreten. Er führte gesundheitliche Gründe an. Er werde auch nicht mehr in seinem Berliner Wahlkreis für den Bundestag kandidieren, kündigte der 35 Jahre alte Sozialdemokrat in einem zweitseitigen Brief an die Parteimitglieder an. Aus der SPD ist zu hören, dass sich Kühnert mit dem heutigen Tag von der Bildfläche verabschiedet habe und alle Zeit seiner Genesung widmen werde.
Über einen Rücktritt von Kühnert war schon länger spekuliert worden. Allerdings aus ganz anderen Gründen. Die SPD hatte bei den vergangenen Wahlen ein mieses Ergebnis nach dem nächsten eingefahren. Dafür wurde in der SPD auch Kühnert verantwortlich gemacht. So hatten Postings auf den Social-Media-Kanälen der Partei für Irritationen gesorgt. Etwa, als gefragt wurde, in welchem Europa man leben wolle – und eine migrantische Familie einer klassischen Familie aus Vater, Mutter, Kind am Abendbrottisch gegenübergestellt wurde.
Kühnert hatte die Fragen nach seinem Rücktritt immer abgeblockt. Er sei gewählt und habe eine Aufgabe zu erfüllen, entgegnete er dann immer. Nun muss er aus anderen Gründen seine politische Karriere bis auf Weiteres beenden.
An ihm kam man in der SPD nicht vorbei
Und es war eine besondere Karriere. Selbst diejenigen in der SPD, die mit Kühnert nichts anfangen konnten, beschrieben ihn als enorm talentierten, cleveren und taktisch klugen Politiker. Kühnerts Erweckung als Ausnahmepolitiker erfolgte Ende November 2017 in einer Veranstaltungshalle in Saarbrücken, in der er zum Juso-Vorsitzenden gewählt wurde. In dieser Minute fand er die Rolle seines bisherigen politischen Lebens. Noch auf dem Bundeskongress der Jusos riss er die Jung-Genossen mit seiner Rede gegen die Große Koalition derart mit, dass die damalige Parteivorsitzende Andrea Nahles nur den Kopf einziehen konnte. Kühnert tingelte die folgenden Monate durch das Land und warb leidenschaftlich für den Gang der eigenen Partei in die Opposition. Er setzte sich nicht durch, aber gewann viele Parteimitglieder hinzu und stieg selbst zu einem Politiker auf, an dem man in der Partei künftig nicht mehr vorbeikam.
Als die SPD ihre Vorsitzende Nahles vom Hof gescheucht hatte, woran auch Kühnert seinen Anteil hatte, verhalf er zusammen mit den Jusos dem unbekannten Kandidatenpaar Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans zum Parteivorsitz – gegen Olaf Scholz und Klara Geywitz. Kühnerts Einfluss auf die beiden blieb auch nach der Wahl hoch. Es waren vor allem linke Positionen, wie Enteignungen und die Kollektivierung von Eigentum, die Kühnert vertrat.
Kühnert verhalf indirekt Scholz ins Kanzleramt
Aber an einem entscheidenden Punkt konnte er sich auch diesmal nicht durchsetzen: Die neuen Vorsitzenden, eigentlich Gegner der großen Koalition, baten Bundesfinanzminister Scholz zum Bleiben und führten die Koalition mit CDU/CSU weiter. Ironie der Geschichte ist, dass das alles im Endeffekt die SPD mit sich selbst versöhnte, die innerparteilichen Streitigkeiten beruhigte und damit den Grundstein legte für die Kanzlerkandidatur von Scholz. Kühnert verhalf dem Mann, den er von der Parteispitze fernhalten wollte, also indirekt ins Kanzleramt.
Mit Scholz, zu dem er ein belastbares und vertrauensvolles Verhältnis fand, stieg auch Kühnert auf. Nach der Bundestagswahl 2021 wurde er Generalsekretär der SPD. Beim ersten Mal wurde er mit 78 Prozent gewählt, bei seiner Wiederwahl stimmten 92 Prozent der Delegierten für ihn. Das Amt brachte es mit sich, dass Kühnert ausgleichend wirken musste und nicht mehr allzu stark polarisieren durfte. Das fiel ihm schwer. Der gebürtige Berliner stand eher für einen Politikansatz, der das Sichtfeld der Sozialdemokraten verengte, als weitete. Kritisiert wurde von einigen, dass es Kühnert nicht gelang, die Breite der Volkspartei SPD zu repräsentieren.
Das kann dafür mehr ein anderer: Lars Klingbeil. Der heutige Parteichef war vor Kühnert Generalsekretär und hatte die Bundestagswahlkampagne mit Scholz organisiert. Kühnert und Klingbeil sind befreundet. Gleichwohl hatte Klingbeil beschlossen, in den jetzt entscheidenden zwölf Monaten mehr Verantwortung für den Wahlkampf zu übernehmen. Unabhängig davon, wer Kühnert nachfolgt, stärkt dessen Rücktritt die Rolle Klingbeils in der SPD weiter.
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