Die Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York lebt von den vielen bilateralen Gesprächen am Rande. Wenn es mal schnell gehen muss, gibt es in einem großen Raum gleich mehrere Gesprächsboxen, abgetrennt nur durch graue Stellwände. Am Donnerstagabend hat sich Außenministerin Annalena Baerbock in eine solche Box gesetzt für eines der komplizierteren Gespräche ihrer Tage bei den Vereinten Nationen: Sie traf den iranischen Außenminister Abbas Araghchi für gut 30 Minuten. Auf X verbreitete ihr Ministerium danach, Baerbock habe unterstrichen, alle Akteure müssten Zurückhaltung üben, um einen Flächenbrand in Nahost zu verhindern. Es ging aber auch um in Iran inhaftierte Deutsche und um Waffenlieferungen an Russland. Baerbock forderte, Teheran dürfe keine Raketen und Drohnen mehr an Moskau weitergeben.
Kompliziert an dem Gespräch war für Baerbock aber nicht nur die Fülle an drängenden Themen, die im Umgang mit Iran kaum voneinander losgelöst zu betrachten sind. Die deutsche Außenministerin versucht wie andere westliche Diplomaten derzeit zu ergründen, wohin sich Iran unter dem neuen Präsidenten Massud Peseschkian bewegt.
Peseschkian hat die Generalversammlung in New York für eine Charmeoffensive genutzt. Die Frage ist, ob dahinter mehr steckt als versöhnliche Rhetorik. Ob sich tatsächlich eine Chance bieten könnte, Iran zu einem Zurückfahren seines Atomprogramms zu bewegen, wie Peseschkian vorgibt. Oder ob dahinter nur der Versuch steht, dem Westen Sand in die Augen zu streuen oder Zeit zu schinden. Zum Beispiel bis Oktober 2025, wenn jene Klausel ihre Gültigkeit verliert, die es Deutschland, Frankreich und Großbritannien erlaubt, den sogenannten Snapback-Mechanismus des Atomabkommens zu betätigen und aufgehobene Sanktionen gegen Iran wieder einzusetzen. Auch Baerbock verwies gegenüber Araghchi auf diese Zeitlinie. Dieser sagte nach dem Treffen mit Baerbock in einem Interview, die Europäer hätten verstanden, „dass Verhandlungen der einzige Weg sind, um sicherzustellen, dass Irans Atomprogramm friedlich ist“. Das klang nach einer Drohung – und anders als der Ton des Präsidenten.
In Iran trifft nicht der Präsident die Entscheidungen
Peseschkian sprach in New York von einer „neuen Ära der Kooperation“ mit dem Westen und warb dafür, das 2015 abgeschlossene Atomabkommen „vollständig umzusetzen“. Der Ton, den Peseschkian in New York anschlug, war in der Tat ein völlig anderer als der seines Vorgängers Ebrahim Raisi. Dieser hatte im vergangenen Jahr bei der UN-Generalversammlung den Niedergang des Westens vorhergesagt: „Sie sind die Vergangenheit.“ Peseschkian hat dagegen schon im Wahlkampf klar gemacht, dass eine wirtschaftliche Erholung Irans nur möglich sei, wenn die Sanktionen gegen das Land gelockert würden. In New York scheute er sich nicht, die Hardliner im eigenen Land zu erzürnen. Er sprach von der russischen „Aggression“ in der Ukraine; er schlug vor, Iran und Israel sollten ihre Waffen niederlegen; und er traf sich mit einem israelischen Wissenschaftler. Für iranische Verhältnisse ist das bemerkenswert. Nicht einmal iranische Sportler dürfen gegen Wettbewerber aus dem Land des Erzfeinds Israel antreten.
In der iranischen Außenpolitik trifft allerdings nicht der Präsident die strategischen Entscheidungen, sondern der Oberste Führer Ali Khamenei. Er hatte im August gesagt, Kooperation mit dem „Feind“ sei nicht verboten. Das wurde allgemein als grünes Licht für Peseschkian verstanden, die Möglichkeit für eine Lockerung der Sanktionen zu eruieren. Entscheidend dafür sind aus Teheraner Sicht die Amerikaner. Araghchi hat aber erklärt, dass man wegen der amerikanischen Präsidentenwahl zuerst mit den Europäern verhandeln wolle.
In Washington und auch Berlin reagiert man bislang zurückhaltend auf diese Signale. Zu viele Themen sind in den Beziehungen zu Iran miteinander verwoben. Gerade in diesen Tagen der drohenden Eskalation an Israels Nordgrenze geht es um Teherans Rolle in diesem Konflikt, ebenso wie jene im Ukraine-Krieg: Nach den Drohnen-Lieferungen hatte zuletzt die Lieferung von Raketen an Russland für eine scharfe Verurteilung aus dem Westen gesorgt. Aus Teheran wies man die Vorwürfe empört zurück, im Gespräch mit Baerbock aber ging es vielmehr um eine Relativierung der Bedeutung der Raketen. Deutschland hatte mit Partnern Sanktionen wegen der Lieferungen angekündigt, unter anderem gegen die Fluggesellschaft Iran Air, die jedoch in der EU noch feststecken. Ebenso wie die Terrorlistung der Revolutionsgarden, die Berlin vorantreiben will. Zudem steht die deutsche Regierung unter Druck, auch deutsche Staatsbürger freizubekommen, nachdem Schweden und Belgien Gefangenenaustausche mit Iran vollzogen haben und zudem mehrere Österreicher aus iranischen Gefängnissen entlassen wurden.
Das Gespräch in der Box bei den Vereinten Nationen soll immerhin auch im Sinne der Charmeoffensive des Präsidenten verlaufen sein, ist aus Diplomatenkreisen zu hören. Auch über das Atomabkommen wurde gesprochen, Berlin sieht es zwar als von Iran stillgelegt an, aber bleibt gesprächsbereit. Schon vor dem Gespräch hatte Baerbocks Politischer Direktor Günter Sautter zusammen mit Briten und Franzosen in New York mit der iranischen Seite gesprochen, wie es weitergehen könnte. Dass zum Beispiel keine Inspektionen mehr stattfinden, wurde auch in der Box angemerkt. Ob der Charmeoffensive also auch erste konkrete Schritte folgen, ist offen. Der Außenministerin und den weiblichen Mitgliedern ihrer Delegation wollte der iranische Außenminister jedenfalls nicht die Hand zur Begrüßung geben. Das hätte ihn wohl seinen Job gekostet.
#Irans #nuclear #program #chance #talks