Der Fall der Berliner Mauer ist bald 35 Jahre her. In dieser Zeit ist eine Generation in Ost und West aufgewachsen, die die deutsche Teilung nur noch vom Hörensagen kennt. Wo ein Deutscher herkommt, müsste eigentlich immer weniger eine Rolle spielen.
Doch danach sah es zum Tag der Deutschen Einheit in diesem Jahr nicht aus. Die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg zeigen vielmehr, dass West und Ost in Deutschland auseinanderdriften. Die AfD hat bei diesen Wahlen ungefähr doppelt so hohe Werte erzielt wie im Westen. Das populistische Bündnis Sahra Wagenknecht, eigentlich eher eine Wahlplattform, ist aus dem Stand drittstärkste Partei geworden. Grüne und FDP drohen zu Westparteien zu werden. Ein einheitliches Parteiensystem in Deutschland scheint verloren zu gehen.
Über viele Jahre war die herrschende Erwartung, der Osten werde sich dem Westen anverwandeln. Wenn sich erst die wirtschaftlichen Verhältnisse annäherten, dann würden auch mentale und politische Unterschiede verschwinden. Doch die allein auf die Ökonomie setzende Perspektive erwies sich als kurzsichtig.
Kein Vergleich mit Gelsenkirchen oder Duisburg
Heute wächst die Wirtschaft im Osten schneller als im Westen. Die Arbeitslosigkeit ist deutlich geringer geworden und liegt nur noch geringfügig über der im Westen. Gut drei Viertel der Bürger im Osten geben regelmäßig an, dass sie mit ihrem persönlichen Leben zufrieden sind. Viele Städte in Ostdeutschland sind in einem so guten Zustand, dass man schlecht gelaunte Bewohner in einen Bus nach Gelsenkirchen oder Duisburg setzen möchte, damit sie den Unterschied sehen.
Gleichzeitig fühlen sich fast zwei Drittel der Einwohner im Osten als Bürger zweiter Klasse. Man kann dafür Gründe anführen. Nur vier Prozent der führenden Wirtschaftskapitäne sind im Osten geboren, nur acht Prozent der führenden Medienleute und nur zwei Prozent der Richter – bei einem Bevölkerungsanteil von 20 Prozent. Das Vermögen ist in Deutschland ohnehin höchst ungleich verteilt. Im Westen wird neunmal so viel steuerpflichtiges Vermögen vererbt oder verschenkt wie im Osten. Die Spitzenverdiener West verdienen fast doppelt so viel wie die Spitzenverdiener Ost, was an der kleinteiligeren Wirtschaft im Osten liegt. Ostdeutsche Löhne liegen immer noch knapp 30 Prozent unter den westdeutschen.
Aber es ist fraglich, ob die bleibenden ökonomischen Unterschiede und die mangelnde Repräsentation als hinreichende Gründe für Frust und Wut gelten können, die im Osten verbreitet sind. Zwar spricht sich eine große Mehrheit der Bürger in Ostdeutschland für die Demokratie aus. Doch ein Teil von ihnen versteht darunter nicht demokratische Verfahren, den Ausgleich von Interessen und den Schutz von Minderheiten, sondern die unmittelbare Erfüllung der Forderungen, die man selbst als die richtigen ansieht.
Vertrauensverlust kein ostdeutsches Spezifikum
Das wurde schon einmal zutreffend als Einforderungsdemokratie bezeichnet. Die AfD knüpft an diese Stimmung an, indem sie sich als Vertreterin des Volkswillens präsentiert. Dass es grundlegende Spielregeln der Demokratie gibt, die es einzuhalten gilt, spielt für diese Kraft keine Rolle, wie der provozierte Eklat im Thüringer Landtag gezeigt hat.
Hinzu kommt, dass nach den Turbulenzen der Wendejahre viele Bürger im Osten wenig Neigung haben, sich den neuen Krisen und Herausforderungen zu stellen, sei es der russische Imperialismus, die globale Migration, der Klimawandel oder die alternde Gesellschaft, für die es keine einfachen Lösungen gibt. Lieber schließt man sich denen an, die dafür laut die angeblichen Schuldigen ausmachen, nämlich die aktuell Regierenden. Und so ist man gegen den Staat, von dem man zugleich alles erwartet.
Die AfD hat auch in properen westdeutschen Ländern starke Wahlergebnisse erzielt. Im Osten ist sie aber stärker in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen, hat dort im vorpolitischen Raum viele Lücken besetzt, die von anderen gelassen wurden. Doch will auch in den östlichen Bundesländern eine deutliche Mehrheit der Bürger von der AfD nichts wissen, auch wenn es im privaten Leben keine Brandmauer zu deren Anhängern mehr geben kann.
Der Vertrauensverlust in Parteien und staatliche Institutionen ist kein ostdeutsches Spezifikum, auch wenn die Vertrauenswerte dort noch niedriger sind als im Westen. Die demokratischen Politiker müssen neue Wege finden, um dem entgegenzutreten. Antidemokratische Entwicklungen gibt es in Westdeutschland, in vielen europäischen Ländern und weltweit. Es wäre fatal, sie als ostdeutsche Besonderheit abzubuchen. Es geht darum, dass die Demokraten einig darin sind, den Zerstörern der Demokratie entgegenzutreten.
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