Dr. Tristan Grünfels (Matthias Brandt), Mitte fünfzig, Psychotherapeut, ist ein Mann mit einer blühenden Phantasie. Ein hoffnungsloser Romantiker, trotz der unerquicklichen Lebensgeschichten, die ihm seine Klienten aufbürden. Anders gesagt: Er ist verrückt.
Aus dem Seelenklempner, dessen Anzug so grau ist wie sein Leben als Zuschauer zu Hause (Frau mit Affäre, Sohn Kiffer, Tochter mit nassforschem Typ zusammen) wird in „Es grünt so grün, wenn Frankfurts Berge blüh’n“ ein Mann, ein eingebildeter „Wanderer über dem Nebelmeer“ mit Mission, als er zunächst billige Kopien romantischer Landschaften in Öl vor dem Sperrmüll rettet und dabei aus Versehen eine Ordnungspolizistin erschlägt, dann zufällig als Opferbetreuer für die betroffene verwitwete Familie verpflichtet wird, seine eigene Familie zu retten beginnt, mit lautersten Absichten und schlimmstmöglichen Resultaten, samt Bruder Hagen, der sich mit der Frankfurter Rotlichtgröße Leonardo Muller (Ronald Kukulies) eingelassen hat. Nibelungenfluch trifft Caspar David Friedrich trifft Richard Wagner trifft Michael Douglas in „Falling Down“ und macht Ernst mit dem Doppelgänger-motiv der Nachtseite der deutschen Romantik, so will es dieser neue, der finale HR-„Tatort“ mit Anna Janneke (Margarita Broich) und Paul Brix (Wolfram Koch).
Der Stolz und die Wut des Schöpfers
Geschrieben hat ihn Michael Proehl (zusammen mit Dirk Morgenstern), das lässt mindestens ein Blutbad erwarten. Proehl hat auch den ersten Fall, „Kälter als der Tod“ 2015, für Janneke und Brix ersonnen. Damals war auch Henning Riefenstahl (Roeland Wiesnekker) als Chef beider neu in Frankfurt, inzwischen gibt es ihn nicht mehr. Brix: Der Mann von der Sitte mit Kontakten ins Bahnhofsviertel, Ermittler mit Bohemienvergangenheit. Janneke: Quereinsteigerin aus Berlin, Psychologin und Fotografin. Zwei eher leise Kommissare, solche für Zwischentöne.
Es mag für Proehl eine (späte) Genugtuung sein, mit dem neunzehnten Fall beide „auszuerzählen“, ihrem „Tatort“-Ende zuzuführen. Man merkt diesem „Tatort“ aber nicht nur den Stolz, sondern auch die Wut des Schöpfers an. Wut darüber, dass nach einem vielversprechenden Start die Gasthauptrollen und ihre Darsteller Broich und Koch, zwei feinen Theater- und Filmschauspielern mit Kapazität, mehr und mehr die Schau stehlen durften. Zum Beispiel Nicholas Ofczarek („Die Geschichte vom bösen Friederich“), Martin Wuttke („Leben Tod Ekstase“), Hannelore Elsner („Die Guten und die Bösen“) in einer ihrer letzten Rollen, solche Folgen waren sehenswert. Es gab schwache wie „Luna frisst oder stirbt“ (Krampf im Verlagsmilieu). Die Kommissare kamen bis nach Nordhessen („Das Monster von Kassel“) und in die Wetterau (in der visuell grandiosen Rechtsterrorismus-Folge „Erbarmen. Zu spät.“). Brix begegnete dem Horror („Fürchte dich“). In „Der Turm“ spielte Jannekes Passion, das Fotografieren, eine Rolle, als sie, im Einsatz verletzt, mit Brix über Bildern grübelte.
Knapp zehn Jahre, 19 Folgen, Abgang. Proehls romantische Ironie: In „Es grünt so grün“ stehen wieder nicht Janneke und Brix, es steht Matthias Brandt im Mittelpunkt. Nur zum Schluss dürfen Janneke und Brix romantisches Interesse aneinander zeigen, es fällt wie vom Himmel, und noch diese plötzliche Passion müssen sie als uneigentlich spielen. Sie seien jetzt mal wie Lauren Bacall und Humphrey Bogart, so sagen sie es.
Vielleicht ist dies die Kehrseite der bemerkenswerten Arbeit der berühmt-berüchtigten Fernsehspielredaktion des Hessischen Rundfunks, einer Redaktion, wie es sie nicht mehr geben wird. Von der innovationsfreudigen Liane Jessen geprägt und von Jörg Himstedt mit dem Mut und der Vorstellung weitergeführt, dass es ihre Aufgabe sei, Kreativen Spielräume zu öffnen. Immer wieder wurde im HR-„Tatort“ Neues gewagt, gab es Platz für Regisseurinnen und Regisseure mit eigener Handschrift, ungewöhnlich erzählende Autoren, visuell herausfordernde Kameraarbeit.
Freilich hatten im Frankfurter „Tatort“ die Kreativen nicht immer Interesse, die etablierten Figuren weiter zu erzählen. Die Kommissare wurden oft zu Stichwortgebern oder Anspielpartnern, zusammen mit ihrem Kollegen Jonas (Isaak Dentler) und Chanteuse Fanny (Zazie de Paris). Besonderes Augenmerk lag aber auf der Zusammenarbeit der einzelnen Gewerke, besonders Musik wurde mit Sorgfalt eingesetzt. In „Es grünt so grün“ erklingt sie, ein Richard-Wagner-Anspielungsreichtum von Raffael Seyfried, wieder eingespielt vom HR-Sinfonieorchester.
Proehl, zusammen mit Florian Schwarz auch Schöpfer des Murot-„Tatorts: Im Schmerz geboren“ mit ungefähr fünfzig Toten und viel Kunstblut, sagt in „Es grünt so grün“ zusammen mit Till Endemann (Inszenierung) und Philipp Sichler (Kamera) zum Abschied nicht leise Servus. Die Bezüge zur Kunst- und Kulturgeschichte, zur deutschen Seelenbefindlichkeit in Anton-Reiser-Nachfolge, ihre Dekonstruktion, das passt ausgezeichnet zusammen, wobei Subtilität wirklich nicht Sache dieses „Tatorts“ ist.
Die Geschichte des blutigen Niedergangs eines deutschen Psychotherapeuten im Wahn, in dessen Schlepptau sich Kalamität auf Kalamität häuft, spielt Matthias Brandt erschreckend gut. Janneke und Brix rücken erst zum Schluss in den Fokus und müssen sich den noch mit Frankfurter Nachtansichten teilen. Fanny singt ihnen dazu einen Chanson, ein trauriges Liebeslied.
#Frankfurt #crime #scene #Margarita #Broich #Wolfram #Koch