Dietmar Woidke hat hoch gepokert und alles gewonnen. Nicht auszudenken, wenn die AfD auch nur hauchdünn vor der SPD gelegen hätte. Woidke hätte Wort halten und zurücktreten müssen; niemand aber hätte diesen Schritt für verantwortungsvoll halten können. Der AfD wäre die Trophäe geschenkt worden, einen Ministerpräsidenten gestürzt zu haben; dessen Partei hätte dennoch in der Pflicht gestanden, eine Mehrheit jenseits der AfD zu suchen. So wie es nun Woidke selbst nach dem Wahlsieg tun muss, der ihm den Verlust seiner Koalitionsmehrheit eingetragen hat. Also regiert die SPD wohl mit dem BSW. Sie macht es nicht anders als die CDU in Sachsen oder Thüringen.
Es ist verständlich, dass bei so viel Mobilisierung, bei so viel Aufholjagd und bei so viel Woidke auch er selbst glaubt, er sei der Mittelpunkt, sei der Treiber dieser Wahl gewesen. Doch auch Woidke reagierte nur. Wie schon frühere Landtagswahlen kreiste diese um nur eine Partei. Die AfD, nicht die SPD war der Elefant im märkischen Sand. In den meisten anderen Wahlen ist es die CDU, die reagieren muss. Die Kandidaten der AfD müssen dafür nicht einmal regionale Größe entwickeln, müssen auch programmatisch nicht gerade Feinarbeit leisten. Ob Bund, Land oder Kommune: Die politische Landschaft entwickelt sich zumindest im Osten in eine Zwei-Klassen-Demokratie, hier die AfD, dort die Partei der anderen Parteien, die zueinanderfinden müssen, um an der AfD vorbei regieren zu können.
Die Wunden deutscher Politik
Dafür gibt es gute Gründe. Was bleibt übrig, wenn man es mit einer Kraft zu tun hat, die den verfassungsrechtlichen Konsens aufgekündigt hat? Die Gegenfrage allerdings lautet: Soll es nun ewig so weitergehen? Soll nun dauerhaft ein Drittel, ein Viertel oder ein Fünftel der Wählerschaft als Paria behandelt werden? Immerhin gehen die Anti-Paria-Parteien seit der Etablierung der AfD nicht mehr so grobschlächtig vor wie nach deren ersten Erfolgen. Hieß es damals noch, Politik müsse nur besser erklärt werden und Radikale müssten entschlossener durch „Haltung zeigen“ bekämpft werden, heißt es nun, es müsse einfach besser regiert werden. In Inhalten und Sachthemen werden jetzt Rezepte gesucht, wo früher die bloße Attitüde zählte.
In diesem Schwenk steckt ein großer Fortschritt. Er hat aber auch einen selbst verschuldeten Nachteil, der sicher dazu beitrug, dass die Neuorientierung so spät vollzogen wurde. Denn die Betonung, nur „gute Politik“ helfe gegen die AfD, besagt nichts anderes, als dass die Wähler der AfD offenbar ein Gespür dafür haben, was schlechte Politik ist, und dass die AfD so fundamental falsch nicht liegen kann in allem, was sie sagt. Die Schwächen der Ampel sind eine Reihung der Wunden deutscher Politik, in die nicht nur die AfD genüsslich ihre Finger legt.
Migration? Da gestehen selbst manche weitsichtigen Grünen ein, dass es so nicht weitergeht. Die CDU hat einen überfälligen Kurswechsel vollzogen, der nach all den Jahren migrationspolitischer Hilflosigkeit erst einmal Glaubwürdigkeit entwickeln muss – ein Grund, warum er in Brandenburg nicht zündete. CDU wie SPD haben so lange mit dem Eingeständnis gewartet, Fehler gemacht zu haben, dass sie nun von zwei Seiten Konkurrenz bekommen haben: nach der AfD auch vom BSW.
Die AfD hat leichtes Spiel
Wirtschaft? Sie hat die Klimapolitik, da kann es noch so viel regnen, als größtes Sorgenkind der Politik abgelöst, auch das viel zu spät. Die AfD hat nun leichtes Spiel, auf Versäumnisse hinzuweisen, ein Vorwurf, der alle anderen Parteien gleichermaßen trifft. Die CDU will sich auf das Thema stürzen, in der Hoffnung, anders als in der Migrationspolitik die populistische Konkurrenz mit Seriosität überbieten zu können. Von der SPD und den Grünen droht ihr auf diesem Gebiet keine Gefahr.
Soziales? Da glauben Grüne und SPD immer noch, mehr anbieten zu müssen als alle anderen Parteien, und drohen dabei Opfer eines Machbarkeitswahns zu werden, den ihnen immer weniger Wähler abnehmen. Ähnlich wie in der Klimapolitik zelebrieren die linksliberalen Parteien hier ihre Überlegenheitsgefühle, was immer wieder dazu führt, dass sie „gute Politik“ nicht qualitativ, sondern moralisch bewerten. Entsprechend verharren sie im Irrglauben, die Hinwendung zur AfD und zum BSW beruhe auf Dummheit oder auf Tiktok-Manipulation, nicht auf Meinungsbildung. Es muss der größte Schock unserer Tage sein, dass sich die stets als „linke“ Klientel verbuchte Jugend von ihren politischen Vormündern abwendet.
Auch wenn Ampelparteien und CDU/CSU so tun, als seien sie unter sich, dreht und wendet sich der Bundestagswahlkampf nicht anders als die Landtagswahlkämpfe um den Populismus von rechts und links. Das ist das Ergebnis einer Politik der vergangenen zwanzig Jahre, die viele hehre Ziele vorgab, aber zu wenige begehbare Wege zeigte. Der Wahlkampf wird ein Kampf darum sein, das Heft des Handelns wieder in die Hand zu bekommen.
#State #elections #East #revolves #AfD