Im Deutschen Ethikrat wächst der Unmut darüber, dass die Bundesregierung noch keine neuen Mitglieder für das Gremium benannt hat. „Die aktuelle Situation ist für mich erstaunlich und ärgerlich. Das Ende der Ratsperiode war lange bekannt. Ich verstehe nicht, warum die Bundesregierung noch immer keine Mitglieder benannt hat“, sagt Ethikratsmitglied Judith Simon der F.A.Z. Die Hamburger Professorin gehört mit Elisabeth Gräb-Schmidt, Armin Grunwald und Mark Schweda zu den vier noch amtierenden Ethikratsmitgliedern. Sie sind noch in ihrer Funktion, da ihre Amtszeit außerhalb des regulären Wahlturnus begann. Für zwanzig Ethikratsmitglieder endete die Amtszeit hingegen im April. Seitdem wartet der Rat darauf, vervollständigt zu werden.
Der Deutsche Ethikrat besteht seit 2008. Er berät die Politik und setzt sich jeweils zur Hälfte aus Personalvorschlägen der Bundesregierung und des Bundestages zusammen. Das Parlament hat neue Mitglieder im Juni gewählt. Sie konnten ihr Amt bisher nicht antreten, da dafür auch die von der Regierung benannten Neumitglieder feststehen müssen. Mit vier Mitgliedern ist der Rat nicht arbeitsfähig. Er hat weder einen Vorsitzenden gewählt noch finden Sitzungen statt. „Uns wird nicht gesagt, warum keine Mitglieder benannt werden. Angeblich gibt es innerhalb der Bundesregierung noch Diskussionsbedarf“, sagt die Tübinger Theologieprofessorin Elisabeth Gräb-Schmidt der F.A.Z.
Die vier Wissenschaftler haben Anfang August einen Brief an die Bundesregierung geschrieben und sich über die monatelange Hängepartie beschwert. Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) antwortete wenige Tage später, sie bemühe sich um eine zeitnahe Benennung, nannte aber keinen Termin. An diesem Sachstand scheint sich wenig geändert zu haben: Eine Sprecherin ihres Ministeriums schreibt auf F.A.Z.-Anfrage, die Abstimmung der Besetzungsvorschläge erfolge zwischen den Bundesressorts. Es werde auf eine zeitnahe Besetzung hingewirkt – einen Grund für die Verzögerung und einen Termin für den notwendigen Kabinettsbeschluss nennt das Ministerium auf ausdrückliche Nachfrage aber nicht.
Welchen Preis verlangen SPD und Grüne?
Ähnlich wie Gräb-Schmidt hält es auch die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Gyde Jensen für möglich, dass innerhalb der Regierung noch Diskussionsbedarf zu dem einen oder anderen Namen besteht. Die Gründe für die Verzögerung kenne sie aber nicht. Beamte des Forschungsministeriums haben bereits vor Monaten bisherige Mitglieder des Ethikrates gefragt, ob sie für eine weitere Amtszeit zur Verfügung ständen. Dass die Mitglieder dennoch weiter warten müssen, ist ein zusätzliches Indiz für einen Konflikt innerhalb der Regierung. Dieser soll sich um die künftige Ausrichtung des Gremiums drehen.
Die FDP-Politikerin Jensen hat im Juni die Personalvorschläge ihrer Fraktion für den Ethikrat koordiniert. Dabei gab es eine interessante Veränderung: Der emeritierte Strafrechtsprofessor Helmut Frister wurde anders als vor vier Jahren nicht mehr von der FDP vorgeschlagen, obwohl er laut Ethikratgesetz für eine zweite Amtszeit berufen werden darf. Die Fraktion benannte stattdessen die Kölner Juraprofessorin Frauke Rostalski und den Siegener Ökonomieprofessor Nils Goldschmidt.
Beide Vorschläge passen zum Profil der FDP: Rostalski gehörte in den vergangenen vier Jahren dem Ethikrat zwar bereits auf Vorschlag der früheren schwarz-roten Bundesregierung an, gewann als Kritikerin der Corona-Maßnahmen aber viele FDP-Abgeordnete für sich. Goldschmidt vertritt als Ökonomieprofessor eine Fachdisziplin, die bislang im Ethikrat nicht vertreten war. „Uns Freien Demokraten ist es wichtig, auch die ökonomische Perspektive im Ethikrat endlich zu stärken. Es ist kein Geheimnis, dass SPD und Grüne andere Prioritäten haben“, sagt Jensen.
Sie macht deutlich, dass sie sich auch Helmut Frister weiter als Ethikratsmitglied wünscht – künftig aber auf dem Regierungsticket. Sollte Bundesforschungsministerin Stark-Watzinger diesen Wunsch teilen, dürften SPD und Grüne dafür einen Preis verlangen. Die Fachpolitiker beider Fraktionen wollen sich derzeit nicht offiziell zum Ethikrat äußern.
Die Liberalen wollen einen Ökonomen
Fristers Personalie ist nicht der einzige mögliche Diskussionspunkt: Wie zu hören ist, möchte Stark-Watzinger einen Ökonomen vorschlagen, dessen öffentliches Auftreten dem Bundeskanzleramt nicht gefällt. Das Interesse der FDP, Wirtschaftswissenschaftler in den Rat zu bringen, sehen manche Beobachter als Widerspruch zum Ethikratgesetz. Das definiert dessen Aufgaben „insbesondere auf dem Gebiet der Lebenswissenschaften“. Die Kritiker haben die Sorge, dieser Fokus könnte verloren gehen. Andere argumentieren, die jüngste Stellungnahme des Ethikrats zur „Klimagerechtigkeit“ habe gezeigt, dass dort mehr ökonomischer Sachverstand dringend geboten sei. Die nun von der FDP vorgeschlagene Frauke Rostalski schrieb im März mit zwei weiteren damaligen Mitgliedern in einem Sondervotum, die Stellungnahme sei von einem „überschießenden und tendenziell illiberalen Moralismus“ geprägt.
Dass der Ethikrat so lange nicht arbeiten kann, ist in seiner Geschichte einzigartig. Bislang hatten Parlament und Regierung die Mitglieder stets rechtzeitig benannt. Zwischen 2008 und 2021 koordinierte der CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Rachel als Forschungsstaatssekretär die Vorschläge des Kabinetts. Er wirft nun der Ampel eine „Geringschätzung für die Arbeit dieses wichtigen unabhängigen Beratergremiums“ vor. Künftig werde es schwer, herausragende Fachleute für den Ethikrat zu gewinnen.
#Dispute #traffic #lights #Ethics #Council