Der seit Wochen schwelende Machtkampf zwischen dem Vorstandschef der Thyssenkrupp AG, Miguel López, und den Chefs der sanierungsbedürftigen Stahlsparte des Konzerns hat personelle Konsequenzen – und zwar viele. Drei der fünf Vorstände von Thyssenkrupp Steel scheiden „im gegenseitigen Einvernehmen“ aus. Das bestätigte der Aufsichtsratsvorsitzende der Stahlsparte (TKSE), Sigmar Gabriel, am Donnerstag während einer Pressekonferenz im Anschluss an eine Sitzung des Gremiums in Duisburg. Es handelt sich um den TKSE-Vorstandsvorsitzenden Bernhard Osburg, den Personalvorstand Markus Grolms und Heike Denecke-Arnold, die bislang für das Ressort Logistik verantwortlich war.
Damit nicht genug. Auch vier Aufsichtsratsmitglieder der TKSE, darunter Gabriel selbst, kündigten an, ihre Ämter „fristgerecht“ niederzulegen. Zudem werden der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der TKSE, Detlef Wetzel, und die Aufsichtsratsmitglieder Elke Eller und Wilhelm Schäffer ihre Mandate niederlegen, wie Gabriel weiter sagte. Er sprach davon, dass für alle vier die „Geschäftsgrundlage entfallen“ sei.
Insbesondere mit dem Vorstandsvorsitzenden der Thyssenkrupp AG, Miguel López, gebe es Differenzen über den „gemeinsamen Weg“. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit ihm und dem Konzern-Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm sein nicht mehr möglich.
Weiter hieß es in Gabriels Statement vor Journalisten: Die „beispiellose Kampagne“, die vor allem López in den vergangenen Wochen gegen den Vorstand der TKSE „öffentlich in Gang gesetzt und betrieben“ habe, beschädige nicht nur die Handlungsfähigkeit des Stahlvorstands, „sondern ist vor dem Hintergrund der Vereinbarungen der Aufsichtsratssitzung am 9. August zugleich ein schwerer Vertrauensbruch“.
Damit bezieht sich Gabriel anscheinend auf die Verständigung des Aufsichtsrats zu Beginn des Monats, unabhängige Gutachter damit zu beauftragen, den Finanzbedarf der TKSE zu analysieren und auf Basis dieses Gutachtens zu versuchen, zu einer Einigung über Sanierung und Mitgift des Konzerns an die Sparte im Zuge der Verselbständigung zu kommen. Doch schon kurz nach diesem Kompromiss hatte der Konzernvorstand den Stahlvorstand öffentlich kritisiert und ihn aufgefordert, „endlich einen tragfähigen Businessplan“ vorzulegen.
Ziel ist ein Joint-Venture
Vorausgegangen war ein langer Streit über die Restrukturierung des Stahlbereichs, den López aus dem Konzern herauslösen und verselbständigen möchte. 20 Prozent der Anteile an der Stahlsparte hat schon die Holding EPCG des tschechischen Milliardärs Daniel Křetínský übernommen, perspektivisch soll er weitere 30 Prozent kaufen, mit dem Ziel eines 50:50 Joint-Ventures.
In seinen Abschiedsworten an die Belegschaft wurde Gabriel noch einmal sehr deutlich: „Ich wünsche den Beschäftigten, dass ihr so gute Chefs bekommt, wie ihr sie jetzt verliert, und bessere Eigentümer, als ihr sie derzeit habt.“ Es sei anscheinend das Ziel von Miguel López gewesen, den Stahlvorstand zur Aufgabe zu bewegen, obwohl dieser „die Interessen des Stahlunternehmens engagiert wahrgenommen und sich gegen, aus seiner Sicht, nicht vertretbare Einflüsse auf seine Arbeit mit Erfolg gewehrt hat“. Auf die Frage, ob López entlassen gehöre, antwortete der frühere Vizekanzler: „Wie soll Siegfried Russwurm den rausschmeißen, den er selber geholt hat?“
Am späten Abend verschickte der Aufsichtsratsvorsitzende der Konzernmuttergesellschaft, Siegfried Russwurm, noch ein Statement zu den Rücktritten der Vorstände. „Seit Wochen und Monaten stehen ungelöste und über viele Jahre aufgestaute Fragen im Bereich Thyssenkrupp Stahl im Zentrum der internen und externen Aufmerksamkeit, binden Managementkapazitäten und belasten das gesamte Unternehmen“, heißt es darin.
Trotz „aller anerkennenswerter Anstrengungen“ sei es dem Management von Thyssenkrupp Stahl nicht gelungen, „erfolgreich Antworten auf die strukturellen Herausforderungen des Stahlgeschäfts und seine betriebswirtschaftlichen Schwierigkeiten zu geben“. Das Statement enthält auch einen Dank für den Einsatz der Vorstände, stellt aber klar, dass sie vor dem Hintergrund der ungelösten Probleme zurücktreten.
„Heute haben wir verloren“
Arbeitnehmervertreter reagierten mit Bestürzung auf die Rücktritte: „Die Ablösung der drei erfahrenen Stahlvorstände wirft uns meilenweit zurück“, sagte Jürgen Kerner, der zweite Vorsitzende der IG Metall und stellvertretende Aufsichtsratschef der Thyssenkrupp AG. „Mit diesen Personalentscheidungen wird vom Stillstand bei den eigentlichen Problemen abgelenkt.“ Das sei unternehmensschädigend. „Gut ein Jahr nach dem Amtsantritt von Herrn López als CEO stehen wir vor einem Scherbenhaufen.“ Der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats der Thyssenkrupp Stahlsparte, Tekin Nasikkol, sagte zu den Beschäftigten gewandt, die Stahlarbeiter hätten schon viele Kämpfe geführt. „Die meisten Schlachten haben wir gewonnen, heute haben wir verloren.“
Schon im Vorfeld der Sitzung war es an Thyssenkrupps Stahlstandort in Duisburg zu Protesten von Arbeitnehmervertretern und IG Metall gekommen. Rund 1000 Menschen, so schätzte es die Polizei vor Ort, hatten sich am Donnerstag auf der Straße vor dem Werk versammelt. Über die ganze Breite der Wiese vor der Zentrale hatten sie ein gigantisches Transparent ausgerollt. „Zukunft statt Kündigung“, war darauf zu lesen. Auf anderen Transparenten war López’ Gesicht zu sehen, in roter Farbe durchgestrichen. Darüber prangte die Zeile „LópezNotMyCEO“. Rechts und links des Büroeingangs loderten Flammen aus brennenden Tonnen, Qualmwolken hingen über dem ganzen Gelände.
Auch vor dem Donnerstag hatte es Proteste gegeben. So laut, dass sich sogar die Bundesregierung und das Land Nordrhein-Westfalen einmischten und sich kurzfristig noch für eine Verschiebung der Aufsichtsratssitzung einsetzten, „um die Möglichkeit für weitere Gespräche zu eröffnen“, wie es ein Sprecher des Bundeswirtschaftsministeriums formuliert hatte. Gabriel sagte dazu, er verstehe den Wunsch der Politik, „nach Wegen zu suchen, um den Konflikt zu deeskalieren“. Doch hätten die betroffenen Vorstände „jedes Vertrauen in den Willen und die Fähigkeit des Vorstandsvorsitzenden der Thyssenkrupp AG zu einer angemessenen Zusammenarbeit verloren“.
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